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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gewöhnlich Rick nannte. »Richard, das ist Stefan«, sagte sie und lehnte sich zurück, um den Blick auf den Anzugträger freizugeben. »Stefan ist für die Messe in der Stadt«, sagte sie in einem unsinnig beeindruckten Ton. »Stefan, das ist mein Bruder Richard.«
    »Wunderhübsche Schwester haben Sie, Richard.«
    Im ersten Moment wusste ich nicht, wofür ich ihm mehr die Fresse polieren wollte; für die Art, wie er Pia anbaggerte, oder dafür, dass er mich mit dem Vornamen ansprach und dabei siezte.
    »Wie im Supermarkt, nur umgekehrt, was?«, fragte ich und schüttelte seine Hand, aber er verstand nicht. Pia schloss die Augen, als wolle sie den Moment ausblenden, und schob sich eine Cocktailkirsche in den Mund.
    »Frau Meyer? Kommste mal her und wischst den Dreck hier weg?«, sagte ich lauter, um eine Supermarktsituation zu simulieren, aber er begriff noch immer nicht.
    »Wegen dem Siezen«, versuchte ich zu erklären, aber er sah hilfesuchend zu Pia, die nur den Kopf schüttelte.
    |114| »Schwesterchen«, sagte ich dann, auf die vermeintliche Banktusse deutend, »ich begrüße mal kurz die einsame Dame da drüben.«
    Ich stand auf, und als die Brünette bemerkte, dass ich auf sie zukam, huschte ihr Blick in die Getränkekarte, obwohl sie noch ein volles Glas vor sich hatte.
    »’n Abend«, sagte ich, und sie sah langsam zu mir auf. Normalerweise hätte ich sie, ohne darüber nachzudenken, geduzt, aber ich stockte und sagte: »Ich bin mit meiner Schwester hier, die gerade jemanden kennengelernt hat. Ich dachte, falls Sie alleine hier sind, haben Sie vielleicht Lust, sich zu uns zu setzen und mir Gesellschaft zu leisten.« Im nächsten Moment machte ich mein Welpen-Gesicht. Als sie lächelte, wusste ich, dass ich sie überzeugt hatte, fügte aber trotzdem noch hinzu: »Nur bis Ihre eigentliche Begleitung kommt, natürlich.«
    »Ich war lose mit einer Freundin verabredet, aber ich glaube, die lässt mich mal wieder hängen«, antwortete sie. »Ich heiße Jana. Müssen wir uns siezen?« Ich schüttelte den Kopf und bemerkte, dass ein Tisch neben uns frei wurde.
    »Pia?«, rief ich, zeigte auf den Tisch, und wenig später saßen wir zu viert zusammen. Während Stefan uns und wir ihn siezten, duzten wir übrigen drei uns untereinander.
    »Und wie ist das so auf der Mineralien-Messe?«, fragte Pia, und es klang, als interessiere es sie tatsächlich.
    »Ist nicht so langweilig, wie man denkt«, antwortete Stefan. »Da stellen Leute aus, die mit Mineralien, Fossilien und solchen Dingen handeln, und es gibt auch Publikum, das sich einfach mal Halbedelsteine angucken will. Besonders spannend war die Ausstellung der Koprolithen, das fanden die Kinder ganz toll.«
    Pia nickte aufmerksam. Obwohl ich neugierig war, wollte ich nicht derjenige sein, der nachhakte, und zum Glück fragte Jana: »Was sind denn Koprolithen?«
    »Versteinerter Dinosaurierkot«, erklärte Stefan und nahm einen Schluck von seiner Piña Colada. Ich wusste nicht, ob |115| ich lachen oder weinen sollte. Mit dem Zeigefinger fuhr ich über die schwarzlackierte Tischplatte und zog dabei einen Schmierfilm wie einen Kondensstreifen hinter dem Finger her.
    »Richard, wollen wir da nicht auch mal hin, solange die Messe noch läuft?«, fragte Pia. Ich fand den Moment so herrlich unsinnig, dass ich mein breitestes Lächeln aufsetzte und so enthusiastisch antwortete, als hätten wir soeben beschlossen, in die Neue Welt aufzubrechen: »Auf jeden Fall, Schwesterherz.«
    Stefan sah mich an, und ich konnte spüren, dass er zwar bemerkte, dass ich ihn auf die Schippe nahm, aber erfolglos versuchte, den Grund dafür zu begreifen.
    Jana und ich plauderten über Belanglosigkeiten, und während Pia immer näher an Stefan heranrückte und einen Tequila nach dem anderen bestellte, blieb unser Gespräch oberflächlich und steif. Nach einer Weile legte Stefan seinen Arm um Pia, und ich wusste nicht, wie weit das Experiment noch gehen sollte. Schließlich tuschelten und kicherten die beiden nur noch. Irgendwann warf Pia ihren Kopf in den Nacken, boxte ihm gegen die Schulter und sagte laut lachend, sodass es auch die Nachbartische hören konnten: »Also, wenn es ein Energy Drink wäre, würde ich es mir nicht kaufen, aber eklig finde ich Sperma nicht.«
    Jana gaffte Pia an. Auch Stefan musste den Satz erst sacken lassen, bevor er schmunzelte. Mein Blick klebte an einer Lavalampe in der Ecke des Raumes. In meinem Schädel tobte ein Hornissenschwarm. In dem Moment liebte ich Pia

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