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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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genauso sehr, wie ich ihr eine scheuern wollte. Um mich zu beruhigen, versuchte ich im zähen Rhythmus der Wachskugeln der Lavalampe zu atmen, doch es half nicht.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte ich und verschwand auf die Toilette.
    Auf dem Rückweg kam mir Pia grinsend entgegen. »Du hältst dich ganz toll. Hast du noch Speed mitgenommen oder Pillen?«, fragte sie im Vorbeigehen.
    |116| Ich packte sie am Arm und zog sie zu mir heran. »Es reicht. Ich will jetzt raus hier.«
    Aber sie schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr. »Es ist noch nicht mal eins.«
    »Mir egal. Dann lass uns irgendwo anders hin. Ich will nur raus aus dem Laden und weg von dem Schleimer.«
    »Der ist witzig«, sagte sie, und ich holte tief Luft.
    »Ist das immer noch Teil von dem blöden Experiment?«
    »Das Experiment ist total egal. Der ist einfach nett, Rick. Unterhalt dich doch auch mal mit dem.«
    Ich ließ sie los, und als ich zurück am Tisch war, lehnte Jana an der Theke und bezahlte. Ein Winken andeutend, lächelte sie mir knapp zu, bevor sie verschwand. Stefan verzog das Gesicht, als würde er sagen: Man kann nicht immer gewinnen.
    Ich setzte mich ihm gegenüber und nahm mir, ohne ihn zu fragen, eine Zigarette aus seiner Schachtel. Er reagierte nicht. Nachdem ich mir die Kippe angesteckt hatte, krempelte ich mir die Ärmel hoch, sodass er die Tätowierungen sehen konnte, stützte meinen Ellenbogen auf und lehnte mich über den Tisch zu ihm hinüber.
    »Stefan, lass uns das
Sie
mal für einen Augenblick vergessen«, hörte ich mich sagen.
    Einige Tage vorher hatte ich mit Flavio einen Mafia-Film auf Video gesehen, den wir regelmäßig guckten, wenn wir nach einer Schicht noch bis in den frühen Nachmittag zusammen rumhingen. Szenenweise konnten wir ihn schon auswendig mitsprechen.
    »Du weißt nicht, wer ich bin, oder?«, fragte ich Stefan, und er schüttelte den Kopf. »Das ist schon in Ordnung«, sagte ich nach einer kurzen Pause. »Du bist schließlich nicht aus der Stadt.«
    Mit einem Mal wirkte er wesentlich wacher als noch Augenblicke zuvor, rutschte auf seinem Platz hin und her und setzte sich aufrecht hin.
    Ich nahm einen weiteren Zug und wischte mir mit dem |117| Daumen über die Nase. »Meine Schwester ist manchmal ein wenig …«, ich starrte an die Decke, als suchte ich nach den richtigen Worten, »offen. Offen und direkt, wenn du verstehst, was ich meine.« Wieder machte ich eine Pause. »Sie ist jung, und sie ist betrunken, und wenn du nicht die Finger von ihr lässt, muss ich dir jeden einzelnen brechen.«
    Stefan sah zur Seite und lachte auf, aber ich starrte ihm unmissverständlich in die Augen.
    »Ich kann mir an einem Freitagabend auch was Besseres vorstellen, als meine kleine Schwester zu babysitten. Aber unser Vater hat mich drum gebeten, also mache ich es«, sagte ich. »Du hast dir wirklich die Falsche rausgesucht, Stefan.«
    Nachdem er mich erst noch unschlüssig gemustert hatte, entglitt ihm sein Gesichtsausdruck mehr und mehr.
    »In Ordnung«, sagte er irritiert. Als ich daraufhin schwieg, wusste er nicht weiter. Ich konnte spüren, dass er mir die Nummer zwar nicht völlig abnahm, aber der kleine Rest Unsicherheit hielt ihn davon ab aufzumucken.
    »Darf ich dir noch ein letztes Getränk ausgeben?«, fragte ich schließlich, aber er lehnte dankend ab.
    Keine zehn Minuten, nachdem Pia zurückgekommen war, verabschiedete sich Stefan. Bevor er ihr ein Küsschen auf die Wange gab, holte er sich mit einem flüchtigen Blick meinen Segen ab.
    Pia sah ihm hinterher. »Spinner«, sagte sie, als er verschwunden war. Nachdem sie noch einen Tequila-Gold und ich einen Whiskey getrunken hatte, gingen wir vögeln.
     
    Obwohl ich mein ganzes Leben alleine verbracht hatte, war es die Zeit mit Pia, in der ich begriff, was es bedeutet, sich einsam zu fühlen. Die Tage ohne sie herumzukriegen war jedes Mal ein Kraftakt. Die Bücher und die Musik, die sie mir gab, waren der Ersatz für unsere Gespräche und ihre Anwesenheit. Wenn sie meine Wohnung verließ, fühlte es sich jedes Mal an, als habe sie den Stöpsel aus einer Wanne gezogen, aus |118| der das Wasser dann kaum merklich, aber stetig ablief und die ich ohne sie nicht auffüllen konnte. Ein Paar dicke Socken hatte sie bei mir deponiert. Gelegentlich zog ich die Dinger zum Einschlafen über, auch wenn sie mir viel zu klein waren und ich sie nur über die Zehen gestülpt bekam. Irgendwie schlief ich mit ihnen besser ein, ruhiger.
    Nach etwa einem Jahr meldete Pia

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