Nachtleben
umrundete und die Heckklappe öffnete.
»Das war wirklich keine Absicht«, sagte ich.
»Das wäre ja auch noch schöner.«
»Kann ich irgendwie helfen?«
»Willst du mich abtrocknen oder umziehen?«, fragte sie, in einer Reisetasche wühlend. »Ich zieh mir kurz was anderes an.« Damit schmiss sie die Klappe zu und entfernte sich mit einem T-Shirt und einem Handtuch in Richtung der Tankstellen-Toiletten. Ich sah ihr hinterher, wandte mich aber ab, als ich bemerkte, dass ich ihr auf den Hintern starrte.
Nachdem ich mir eine Zigarette angesteckt und den Rucksack auf die Rückbank verfrachtet hatte, setzte ich mich bei offenstehender Tür auf den Beifahrersitz und ließ meinen Blick durch das Innere des Wagens wandern. Zuerst fiel mir auf, dass es keinen Aschenbecher gab, obwohl ich auf dem Fahrersitz zwei Brandlöcher entdeckte. Ich wackelte mit dem Hintern im Sitz hin und her, und es fühlte sich an, als würde ich auf einem billigen Campingstuhl sitzen. Der Fußraum bot kaum Platz für meine Beine. In der muldenartigen Ablage vor meinen Knien, die Handschuhfach und Amaturenbrett ersetzte, lagen neben allerlei Müll ein billiges Kofferradio und ein verknicktes Bedienungshandbuch. Fiat Panda 45.
Itakertrabbis
, nannte Flavio diese Kisten. Anders als die ausgeblichene Außenseite des Wagens leuchtete der unverkleidete Innenraum noch in einem warmen Rot. An den Türen, auf Höhe der winzigen Plastikarmlehnen, entdeckte ich als Polsterung einen Streifen des gleichen grauen Stoffs, mit dem auch die Sitze überzogen waren. Der Kofferraum war nicht vom Innenraum getrennt, sondern lediglich ein Stauraum hinter der Rückbank. Lenkrad und Amaturenbrett bestanden aus schwarzem Plastik. Den einzigen Luxus stellten die vier Schieberegler der Lüftung dar.
Als Ingrid zurückkam, steckte sie in einem ausgewaschenen T-Shirt mit dem Aufdruck:
Call-Center for Life!
|197| Sie ließ sich in den Fahrersitz fallen, warf ihre nasse Bluse über die Rückbank in den Kofferraum und sah mich genervt an.
»Wieso Call-Center?«, wollte ich wissen, aber sie verdrehte die Augen.
»Das ist mein Schlaf-T-Shirt. Das hatte ich eigentlich nur für die Nacht dabei. Es ist völlig egal, was da draufsteht, ja?«
»Schlecht geschlafen?«
Ingrid schnaufte und rieb sich durchs Gesicht. »So gut wie gar nicht«, sagte sie. »Kannst du vielleicht nachher auch ein Stück fahren?«
»Ich habe keinen Führerschein mehr.«
Ingrid ließ ihren Kopf in den Nacken klappen, als habe jemand den Faden einer Marionette gekappt. Dann hob sie in ähnlicher Manier die Hände und ließ sie zurück aufs Lenkrad fallen. »Wieso das denn?!«
»Habe vor einer Weile was für einen Kumpel auf meine Kappe genommen«, sagte ich und warf die Zigarette in ein Gebüsch. »Wollen wir mit der Bahn fahren? Ist ja noch früh. Von mir aus …«
»Nee, ich will jetzt los«, fiel Ingrid mir ins Wort und startete den Wagen.
»Das ist ein Nichtraucher-Auto, oder?«, fragte ich.
Wortlos nickend schaltete sie das Radio an, und wir fuhren los.
Ingrid schwieg. Vier Kreuzungen hielt ich es aus, dann versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen.
»Du studierst noch Deutsch und Philosophie?«
»Woher weißt du das denn?«, fragte sie.
»Internet. Ich habe seit einer Weile Internet.«
»Aha.«
Wir hielten an einer Ampel. Ingrid trommelte den Rhythmus des laufenden Liedes auf dem Lenkrad mit.
»Ja«, sagte ich, »ich kenne mich gar nicht so richtig damit |198| aus, aber ein Kumpel meinte, ich brauche das, damit wir uns Mails schicken können. Jetzt habe ich das halt. Habe ich gestern mal deinen Namen eingegeben, bei so einer Suchmaschine, und dann stand das da alles irgendwo.«
»Und was heißt
noch
?«, fragte Ingrid, aber ich verstand nicht. »Was heißt, ob ich
noch
studiere?«
»Nur so. Das sollte nichts heißen. Willst du Lehrerin werden?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Magister. Ich mache das auf Magister.«
»Dann schreibst du an deiner Magisterarbeit?«
»Nein, schreibe ich nicht.«
Ihr Ton wurde schärfer. Als die Ampel grün wurde, fuhren wir ruckelnd an.
»Ich dachte ja nur«, sagte ich. »Zweiunddreißig bist du, oder?«
»Und?«
Ingrid pustete sich Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich Richtung Wagendach schlängelten wie Seegras, bevor sie schlaff zurückfielen.
»Wir können auch über was anderes reden«, sagte ich.
»Da studieren auch Leute, die noch älter sind als ich.«
»Schon okay.«
Energisch schaltete Ingrid einen Gang höher. »Das ist noch
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