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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ich, als wenn nichts wäre, obwohl ich spüren konnte, wie es in ihr arbeitete. »Die hat den Honig immer in ihren Kühlschrank gestellt. Völlig schwachsinnig. Da musste man total drin rumstochern. Dann klebte da ein kalter Klumpen Honig am Löffel. Den hat sie in einen Emaillebecher voll Milch gehalten, und je wärmer die Milch wurde, desto weicher wurde halt der Honig.«
    »Das war gar nicht Mama?«, fragte Ingrid und atmete hörbar ein und aus. Schließlich wurde dieses Keuchen zu einem Husten, als müsse sie die Erinnerungen an eine Mutter, die es so nie gegeben hatte, aushusten.
    »Wegen
Casablanca
noch mal«, sagte ich. »Wegen dem Film heißen wir beide doch auch, wie wir eben heißen. Das hat …«, ich musste wieder an Franz denken, sagte dann aber, »das ist einer Exfreundin von mir aufgefallen. Die hat das sofort geblickt, als ich deinen Namen und das Plakat erwähnt habe. Rick und Ingrid, weißt du? Humphrey Bogart heißt in dem Film Rick Blaine, und die weibliche Hauptrolle spielt Ingrid Bergman.«
    Die Schulter wieder gegen die Tür gelehnt, hing Ingrid im Fahrersitz, zog die Nase hoch und versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln. Mit den Fingernägeln kratzte sie über den Stoff ihrer Jeans, und ich starrte auf ihre Hände, wagte aber nicht, sie zu berühren.
    »Wie heißt Ingrid Bergman noch mal in dem Film?«, wollte sie schließlich wissen.
    »Ilsa Lund.«
    Ingrid lächelte. »Das heißt, wir könnten jetzt auch Ilsa und Humphrey heißen oder was?«
    »Ich schätze«, sagte ich. »Wollen wir noch mal rausfahren? Ich habe Hunger.«
    »Du hast doch vorhin erst was gegessen.« Ingrid wischte sich mit dem Handrücken eine Träne von der Wange.
    |256| »Ach, das bisschen hält doch nicht lange vor. Waren doch nur ’n paar Eier.«
    Schmunzelnd sagte Ingrid: »Na ja, aber
Rühr eier

    Irgendwie gelang es ihr, diese Antwort wie ein Argument klingen zu lassen. Nachdem ich einige Sekunden erfolglos nach dem Punkt ihrer Aussage gesucht hatte, sah ich sie ratlos an. »Und?«
    »Außerdem war das doch gerade erst«, sagte sie, als sei ich ein lästiges Blag, das auf dem Weg in den Urlaub nach Eis brüllte.
    »Vor fast drei Stunden«, sagte ich nölig.
    »Na ja!«
    »Ich treibe regelmäßig Sport. Ich muss essen.«
    »Na gut«, sagte sie dann. »Verhungern sollst du ja auch nicht.«
    Das war schön.

|257| Juli 1996
    In der Schwüle des Nachmittags fühlte sich die überfüllte Straßenbahn an, als hätte mich eine Würgeschlange geschluckt. Der Geruch von Schweiß und Parfum stand in der Luft, und irgendjemand kaute Erdbeerkaugummi. Den Arm in einer Gummischlaufe, schaukelte ich unter dem Ruckeln der Bahn hin und her. Zuvor hatte ich Pascal einen Besuch abgestattet, und meine Nasenschleimhäute brannten.
    Als die Bahn hielt, stieg ein türkisches Mädchen in dünnem Top und enger Stoffhose ein, stellte sich vor mich und drehte mir ihren Rücken zu. Ihre Haare kitzelten an meinem Oberarm. Weil sie einen Kopf kleiner war als ich, konnte ich ihr über die Schulter auf ihre Brüste sehen. Ihr Geruch zog mir in die Nase, und ich atmete tief ein. Sie roch wie Pia.
    An der nächsten Haltestelle wurde die Bahn noch voller, inzwischen war kaum noch ein Stehplatz vorhanden. Ein Penner mit aufgedunsenem Gesicht und Wampe kam in die Bahn gewackelt und presste sich gegen die Türkin, worauf sie mir ihren harten Hintern in den Unterleib schob. In dem Augenblick rempelte mich jemand an, und ich nutzte die Gelegenheit, um mich fester, aber noch im alltäglichen Rahmen an das Mädchen zu drücken. Der Penner und ich nahmen sie in den Schwitzkasten. Hinter ihm wurde gedrängelt, und er richtete es so ein, dass er dem Mädchen seinen Bauch zuwandte, aber sie schaute wie unbeteiligt aus dem Fenster. Auch als ich im nächsten Moment an ihren Haaren roch, zeigte sie keine Reaktion, nur der Penner bemerkte es und grinste mich an. Über seine Oberlippe zog sich ein brauner Rand, wahrscheinlich von einem Magenbitter. Ich zwinkerte |258| ihm zu, woraufhin er sich mit vollem Körpereinsatz gegen das Mädchen presste. Über ihren Kopf hinweg schmunzelte ich ihm zu. Meinen Mund dicht am Ohr des Mädchens, flüsterte ich: »Mein Kumpel und ich würden dir zwanzig Mark geben, wenn du uns einen bläst.«
    Überrascht sah mich der Penner an, als würde er die Kohle von mir schnorren wollen.
    »Was hältst du davon?«, hakte ich nach. Ein Kerl in Schlips und Kragen neben mir schielte dem Mädchen ins Dekolleté.
    »Dreißig Mark könntest du

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