Nachtmahl im Paradies
Sommergewitter zu münden. Die Vögel in den Bäumen über ihrem Tisch im Garten des Restaurants hatten bereits das Zwitschern eingestellt, und das Zirpen der Grillen war ebenfalls spürbar leiser geworden, so als suchte das Gros des Orchesters bereits das Weite vor dem nahenden Unwetter. Jedenfalls kam es Jacques so vor.
»Hören Sie, Catherine«, versuchte er sie zu beschwichtigen. »So ein Restaurant ist ein empfindliches Gebilde. Ähnlich empfindlich und zerbrechlich wie ein rohes Ei.« Er formte mit den Händen die Silhouette eines Eis, um das Bild zu veranschaulichen.
»Und ich mache die Ei kaputt?« Catherine blickte ihn fragend an, wie ein scheues Reh, das soeben verdächtigt worden war, im Grunde seines Herzens ein blutrünstiger Wolf zu sein.
»Ja«, hörte er sich sagen. Um sich im selben Atemzug zu korrigieren. »Nein, nein, natürlich nicht! Aber alles braucht seine Zeit, oder etwa nicht? Ein angehender Jongleur jongliert auch nicht sofort mit rohen Eiern, sondern fängt erst einmal mit Tennisbällen an. Mit etwas, das nicht so empfindlich und zerbrechlich ist.«
Jacques war stolz auf seine Gabe, komplexe Sachverhalte in einfachen Bildern und Gleichnissen darstellen und sie auf diese Weise jedem begreiflich machen zu können. Nun ja, fast jedem.
»Aber ich habe schon professionell jongliert, viele Jahre – in New York!«, protestierte Catherine. »Oder benutzen französische Jongleure etwa andere Eier als amerikanische?«
Sie schaute ihn vorwurfsvoll an.
Was in aller Welt sollte er darauf entgegnen?
Ganz offensichtlich war sie eine dieser Frauen, die am Ende immer recht behielten. Genau deshalb musste er darauf bestehen, dass er das Heft nicht aus der Hand gab. Sonst würde am Ende alles drunter und drüber gehen – und er würde sein eigenes Restaurant nicht wiedererkennen.
»Also, haben wir nun eine Deal, oder nicht?«, wiederholte Catherine ihre Frage, während sie ihn mit strengem Blick fixierte.
Gab es hier irgendwo einen Notausgang? Sosehr Jacques sich anstrengte, er konnte das grün wie die Hoffnung leuchtende Schild nicht finden.
»Oder bevorzugen Sie eine feindliche Übernahme?«
Für einen Moment glaubte Jacques, sich verhört zu haben.
»Eine feindliche Übernahme? Durch … Sie?«
»Nein, nicht durch mich, Sie Dummkopf!« Im selben Augenblick fuhr sie ihm mit der Hand besänftigend über den Arm. »Entschuldigung. Das … ist mir so rausgerutscht«, sagte sie, und ihr Ton wurde sanfter. Um sofort wieder im Tempo anzuziehen. »Ich meinte durch die Gerichtsvollzieher. Also, Jacques – wer ist attraktiver, mit wem wollen Sie Ihre Zukunft lieber verbringen: mit diese Mann oder mit mir?«
Der Anblick von Gérard, dem Gerichtsvollzieher, huschte Jacques durch den Kopf. Er war glatzköpfig, klein, untersetzt und trug dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr denselben grauen, abgerissenen Trenchcoat, den ihm seine Eltern zum vierzehnten Geburtstag geschenkt hatten. Vermutlich in der Hoffnung, er werde noch wachsen, was offensichtlich nicht passiert war, weshalb ihm der Mantel bis heute eine Nummer zu groß war. Dazu ausgetretene taubenblaue Kunstlederschuhe, die äußerst bequem wirkten und alle paar Jahre durch ein Paar derselben Marke ersetzt wurden.
»Okay«, willigte Jacques ein und streckte Catherine die Hand entgegen.
»Okay, was?«
»Okay, wir haben einen Deal.«
Zögerlich legte sie erneut ihre Hand in die seine.
Nun war sie es, die noch etwas Kleingedrucktes für ihn hatte.
»Jacques, man kann nicht immer die Hauptgewinn ziehen«, versuchte sie ihn zu trösten. »Und man kann nicht immer im Leben die große Liebe erwarten oder die große Glück, verstehst … du?« Sie duzte ihn. Zum ersten Mal. »Manchmal muss man zufrieden sein, wenn man einfach nur weitermachen kann«, fuhr sie fort. »Man überlebt – und dann, etwas später, sieht man weiter.«
Jacques deutete ein Nicken an. Er wusste nur zu gut, dass sie recht hatte. Ihm blieb keine andere Wahl, wenn er überleben wollte.
»Und Sie werden mich nicht enttäuschen?«, fragte er. Ihre Hand lag noch immer in seiner.
Sie legte den Kopf leicht schief, und ein sanftes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Sagt das sonst nicht der Frau?«, entgegnete sie fragend.
»Normalerweise ja«, bestätigte Jacques. »Aber wenn es ums Überleben geht, dürfen es auch Männer sagen.«
Nachdem das geklärt war, war er deutlich berauschter, als die Polizei erlaubte – in seine goldene Göttin gestiegen, um im Schritttempo
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