Nachtmahl im Paradies
selbst war ganz anders: ähnlich einem Fisch, der unter der Wasseroberfläche seine Kreise zog und sich von nichts beeindrucken ließ, was dort oben auf der Welt an vermeintlichen Sensationen lauerte. In der Tat, Jacques war ein fetter, müder Karpfen. Das mochte nicht immer so gewesen sein, aber nun beschrieb ihn dieses Bild durchaus zutreffend – ein Karpfen, der den lieben langen Tag über eigentlich nichts Besonderes veranstaltete. Gelangweilt zog er in Zeitlupe seine Runden in einer stillen, nein verstummten Welt, bis er eines Tages dem Tod an die Angel gehen würde. C’est la vie – so ist das Leben nun einmal. Man konnte sich damit abfinden – oder ewig dagegen anrennen, so wie es seine neue Geschäftspartnerin ganz offensichtlich vorhatte. Nun, er würde sich ihr nicht in den Weg stellen. Doch ob er ihr eine wirkliche Hilfe sein konnte bei ihrem Plan, die Sonne an diesem kargen Flecken in der Normandie erneut aufgehen zu lassen, das vermochte er beim besten Willen nicht zu versprechen.
Catherine, die eben noch gemütlich neben ihm auf einem der Barhocker an dem kleinen Tresen in der Küche des Paris gesessen hatte, schien es auf einmal eilig zu haben. Der Themenwechsel von seiner Achillesferse auf ihre hatte ihr wohl nicht besonders gut geschmeckt. Offenbar lag ihr die zu Ende gegangene Liaison mit dem New Yorker Superkoch noch schwer im Magen. Möglicherweise war er mit einer anderen durchgebrannt – zumindest wäre das eine mögliche Erklärung für Catherines schmallippige Reaktion auf Jacques’ nicht wirklich ernst gemeinten Vorschlag, ihren Koch einfach nach Frankreich zu holen.
»Ich muss noch eine paar Telefonate führen. Wir sehen uns später, nicht wahr?«, schloss Catherine kurz angebunden. Sie hauchte ihm links und rechts einen kühlen Kuss auf die Backe, schnappte sich ihre Louis-Vuitton-Handtasche – die scheinbar zur Standardausstattung aller New Yorkerinnen gehörte – und rauschte auf den schmalen, hohen Absätzen ihres zierlichen feuerroten Schuhwerks hinaus zur Tür.
Catherine war kaum hinaus, da kam sie noch einmal zurück. Sie wirkte aufgebracht. Ihre kornblumenblauen Augen funkelten wütend.
»Ich hatte gedacht, ihr Franzosen versteht etwas von die Liebe!«, fauchte sie.
Jacques zuckte irritiert mit den Schultern – ihr Auftritt traf ihn unvorbereitet. Sie war angespannt wie ein Flitzebogen. Überspannt, um genau zu sein.
»Die Liebe?«, erwiderte Jacques unsicher. »Ich denke, wir reden hier vom Kochen.«
»Und für beides braucht man ein Portion Feinfühligkeit, richtig?«
Aha, er hatte sich also nicht geirrt. Sein ironischer Vorschlag, Mister Superkoch einfliegen zu lassen, hatte sie in Rage versetzt. Trotzdem reagierte sie überaus irrational. Weil sie nicht loslassen konnte, was ganz offensichtlich nicht mehr zu ihr gehörte. Und nun hatte sie endlich einen Blitzableiter gefunden: ihn, Jacques.
»Entschuldigung, aber wie …« Er brach ab. Es war sinnlos. Wie man einer Blinden den Himmel beschrieb? Der Gedanke drängte sich Jacques förmlich auf. Einer Frau, die offensichtlich noch nie von der großen Liebe gekostet hatte? Die echten Schmerz nicht kannte? Die sich übertrieben aufregte, nur weil man eine alte Flamme ins Spiel brachte, die augenscheinlich vor ihr davongerannt war? Er verzichtete klugerweise darauf, seine Gedanken laut auszusprechen.
»Wie es in Wahrheit aussieht mit die französische Feinfühligkeit, willst du wissen? Trostlos!«, schnaubte sie. Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stampfte davon, zielsicher, auf ihren zarten, kleinen Füßen.
Oh, là, là! Jacques ohrfeigte sich innerlich dafür, dass er mit seiner Bemerkung einen unnötigen Vulkanausbruch provoziert hatte, der ganz sicher nicht vorteilhaft war für die geschäftliche Beziehung, die er gerade erst mit Catherine besiegelt hatte. In Zukunft würde er unbequeme Themen wie das Verhältnis zu ihrem Exmann nicht mehr anschneiden – auch wenn sie ihn noch so sehr marterte. So waren Frauen nun einmal: Sie konnten austeilen, aber nicht einstecken.
Er schaute auf die Uhr. Jeden Moment konnte Pierre hier auftauchen. Jacques fragte sich, was Catherine von ihm erwartete: dass er seinen Chefkoch aus der Gascogne im hohen Bogen hinauswarf, nur weil er nicht wirklich kochen konnte? Erst jetzt fiel es ihm auf: Er fühlte sich ein wenig einsam – so allein in der Küche, nach dem, was sich gestern Nacht hier abgespielt hatte. Erst jetzt, da Catherine verschwunden war, bemerkte er, dass er
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