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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Männer zu halten, deren einziges Glück darin bestand, ihr zu gefallen und ihre Befehle auszuführen.
    Gryphon Manor, vor den Toren der altehrwürdigen Stadt Oxford gelegen, war eine jener eher wuchtigen als eleganten grauen Stilmischungen mit unzähligen Erkern, Giebeln und Kaminen, deren Ursprünge bis ins Mittelalter zurückreichten. Jede Generation schien sich bemüßigt gefühlt zu haben, dem Gebäude einen weiteren Anbau hinzuzufügen oder zumindest einem Teil des Ensembles seinen Stempel aufzudrücken. Der weitläufige englische Garten dagegen, der das Herrenhaus umgab, fügte sich harmonisch in die saftig grüne Landschaft ein.
    Raika schob das hohe, schmiedeeiserne Gitter auf und folgte der geschwungenen Auffahrt zwischen Beeten mit englischen Teerosen. Der geharkte Kies knirschte unter ihren Schuhen.
    Ein Mann, der wie ein Butler gekleidet war, empfing sie an der Tür und schloss dann die schweren, hölzernen Flügel hinter ihr.
    »Warten Sie bitte hier«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
    Raika hätte sich am liebsten an ihm vorbeigedrängt, doch sie zwang sich, gehorsam in der Halle stehen zu bleiben. Sie war, wie das ganze Haus – soweit Raika es bisher zu Gesicht bekommen hatte –, mit allerlei viktorianischen Möbeln und Nippes vollgestellt. Vieles mochte auch noch älter sein. So genau kannte sie sich damit nicht aus. Alles sah gepflegt und abgestaubt aus. Es roch nach Möbelpolitur. Verächtlich hob Raika die Oberlippe. Was waren das für armselige Geschöpfe! Leere Hül len. Dienstbare Geister, ihres Willens beraubt. Und doch konnte selbst Raika nicht leugnen, dass sie ihre Vorteile hatten. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, sich auch einen Dienstboten anzuschaffen, der dann ihre Wohnung sauber hielt und sie mit allem verwöhnte, was er zu bieten hatte, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam? Die Vorstellung amüsierte sie und hatte einen gewissen Reiz .
    Raika hörte, wie der Butler ihren Namen verkündete und dann die leise Stimme der Lady, die wie das Rascheln von Seidenpapier klang.
    »Carter, sag ihr, sie mag hereinkommen.«
    Raika hörte bereits am Klang der Worte, dass die Unterredung eher unangenehm werden würde. Sie spürte, wie Ärger in ihr aufstieg, und ballte die manikürten Hände zu Fäusten.
    »Sie dürfen eintreten«, sagte der Butler, ohne den Blick zu heben.
    Raika rauschte an ihm vorbei und näherte sich dem Sessel, in dem die Lady saß, so weit, bis sie der Mut verließ und sie abrupt stehen blieb. »Mylady, Sie haben nach mir geschickt«, murmelte sie, ohne die Frau im Sessel anzusehen, doch sie wusste auch so, wie sie aussah. Wer auch nur einmal einen Blick auf sie erhascht hatte, der vergaß ihn sein Leben lang nicht mehr.
    Uralt war die Lady und doch alterslos. Das Gesicht schmal und mit glatter Haut. Ihr Blick so mächtig, dass er jeden in die Knie zwingen konnte. Eine altmodische Robe verbarg ihren Körper, der bestimmt so makellos war wie ihr Gesicht, und die langen, schlanken Finger, die nur von einem großen Rubin geschmückt wurden. Ihr Haar war fast farblos, und doch schimmerte es im Schein der trüben Lampen wie flüssiges Silber. Die Augen schienen schwarz, doch es wagte ohnehin niemand, ihren Blick zu erwidern. Auch Raika sah nur ihre Fußspitzen an, als sie darauf wartete, dass die Lady ihre Stimme erhob. Wie üblich sprach sie leise, doch es lag keine Wärme in ihren Worten.
    »Weißt du, was ich hier habe?«
    Zaghaft ließ Raika den Blick bis zu ihrem Schoß wandern, in dem sie eine aufgeschlagene Zeitung erkannte. Sie sagte nichts.
    »Soll ich dir vorlesen, was hier geschrieben steht?«
    Raika schüttelte den Kopf. »Ich habe den Artikel gesehen.«
    »Und? Was hast du mir dazu zu sagen?«
    Raika spürte, wie Trotz in ihr aufwallte. Deswegen zitierte die Lady sie nach Oxford? Was sollte das? Es war nichts Schlimmes passiert. Nur ein Mann, der sich zu Tode stürzte. So etwas passierte in London ständig.
    »Er ist freiwillig vom Dach gesprungen«, antwortete sie knapp.
    »Aha, und du hast nicht ein wenig nachgeholfen?«
    »Ich habe ihn nicht gestoßen!«
    Die Lady seufzte. »Das habe ich auch nicht behauptet.« Sie schwieg, bis Raika die Stille nicht mehr aushielt. Sie war noch nicht entlassen.
    »Wir mussten Überstunden machen. Es wurde spät, nun ja, es war an Neumond, und so bin ich um Mitternacht aufs Dach, um mich zu wandeln. Er ist mir gefolgt. Er hat mich gesehen! Was hätte ich denn tun sollen?« Und außerdem war er nur ein ganz

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