Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
antiquiert daherkam. Doch der Kaffee war gut, und auch gegen die hausgemachten Kuchen war nichts einzuwenden.
»Der Apple Crumble ist lecker«, empfahl sie Jason, der sich gleich eine große Portion mit viel Sahne bestellte.
Lorena entschied sich für die Lemon-Curd-Baiser-Pie und aß erst einige Bissen, ehe sie ihm die Antwort gab, die sie bis dahin bewusst hinausgezögert hatte, doch Jason war keiner, der lockerließ.
Er wartete, bis sie die Gabel niederlegte, dann drängte er noch einmal: »Nun erzähl schon. Was hast du alles gemacht, nachdem wir uns bei deiner Abschlussfeier das letzte Mal gesehen haben.«
»Nichts Aufregendes«, gab sie zurück und seufzte. »Ich habe mich auf der London Metropolitan University für International Banking and Finance eingeschrieben und dort meinen Master gemacht. Und seit drei Jahren arbeite ich bei der HSBC im Handel – Optionen und verschiedene Derivate. Nichts Aufregendes«, fügte sie noch einmal hinzu, und es tat ihr fast weh, erst sein Erstaunen und dann die Enttäuschung in seinem Blick zu sehen. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Immerhin lag ein Lächeln auf seiner Miene, als er von seinem Apple Crumble aufsah.
»Wow, das hätte ich nicht erwartet. Aber es stimmt schon, du warst in Mathe immer unser kleines Genie. Dann gehörst du jetzt also zu den bösen Bankern, die den kleinen Leuten wertlose Zertifikate andrehen, um sie um ihre Ersparnisse zu bringen!«
Er zwinkerte bei seinen Worten, dennoch brauste Lorena auf. »Nein! Ich habe nicht mit Privatkunden zu tun. Meine Kunden sind große Unternehmen, die genau wissen, worauf sie sich einlassen.«
»Sodass du jede Nacht mit ruhigem Gewissen schlafen kannst«, fügte er mit übertriebenem Ernst hinzu, doch seine Augen funkelten.
»Genau«, log Lorena.
Wenn sie eines nicht konnte, dann ruhig schlafen, aber das hatte nichts mit der Bank oder den Wertpapieren zu tun.
»Und du? Was machst du? Was führt dich nach Notting Hill?«, gab sie die Frage zurück, um von sich abzulenken.
»Ich bin nach Schottland gegangen, nach Edinburgh, um Musik zu studieren.«
Lorena vergaß ihre Pie. »Du hast es wirklich wahr gemacht? Schon damals in der Schule hast du herrlich Klavier gespielt, aber du hast immer behauptet, Musik sei eine brotlose Kunst.«
Jason lachte und hob dabei die Schultern. »Das wird sich zeigen. Im Moment geht es ganz gut. Ich habe mich auf das Cello konzentriert und seit ein paar Wochen ein Engagement bei einem Orchester. Klavier spiele ich nur noch nebenher, meist wenn ich Schüler unterrichte. Und wenn ich von der klassischen Musik genug habe, hole ich das Saxofon hervor.« Er schmunzelte ein wenig spitzbübisch. »Meine Erholung heißt Jazz.«
»Eine anspruchsvolle Erholung«, meinte Lorena.
Jason bestellte eine zweite Runde Kaffee und schob den letzten Löffel Apple Crumble in den Mund. Mit einem Seufzer lehnte er sich in seinem schon ein wenig abgeschabten Sessel zurück. »Mich erfüllt es, und ein wenig Geld bekomme ich meistens auch für diese zusätzlichen Auftritte, es sei denn, ich treffe mich nur mit ein paar Freunden in einer Jazzkneipe, um ein wenig zu improvisieren. Aber dann sind zumindest die Getränke umsonst.« Er grinste so entwaffnend, dass auch Lorena ihn warm anlächelte.
»Du wirkst jedenfalls glücklich mit deiner Entscheidung«, stellte sie fest.
Jason nickte. »Ja, das bin ich, und seit ich das Engagement beim Orchester habe, sind auch meine Eltern wieder ein wenig versöhnt. Jetzt kann ich mir endlich ohne Unterstützung meine Wohnung und ein Auto leisten und muss keinem mehr auf der Tasche liegen. Ein Problem, das du sicher schon lange nicht mehr kennst. Ich vermute, bei deinem Job verdienst du richtig gut.«
Lorena zuckte mit den Schultern. »Ja, das stimmt, aber irgendwie ist es mir nicht wichtig. Ich habe hier meine Wohnung und meine Katze, und das genügt mir.«
Jason sah auf die Uhr. »Ich muss weiter. Ich bin mit ein paar Kumpels verabredet. Wir wollen die Stücke durchgehen, die wir morgen spielen. Ach ja, wenn du noch nichts vorhast und gerne kommen möchtest: Wir spielen morgen ab neun in der Mau Mau Bar.«
Lorena hob die Augenbrauen. »Das ist ja nur die Straße runter. Ja, natürlich komme ich!«
Er hauchte ihr zum Abschied zwei Küsse auf die Wangen und ging davon.
Lorena sah ihm hinterher und fühlte, wie ihr Herz aufgeregt pochte. »Sei still«, befahl sie und zwang ihre Schritte in die entgegengesetzte Richtung. »Es gibt überhaupt
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