Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Zittern durch ihren Körper. Sie wand sich und fiel auf die Knie.
Jason stürzte zu ihr. »Was ist das für ein Teufelszeug?«, rief er entsetzt. Er wollte sie hochziehen, doch Lorena streckte abwehrend die Arme aus.
»Bleib weg!«
Jason zog sein Handy aus der Tasche. »Ich rufe einen Krankenwagen. Du hast dich mit diesen Dingern vergiftet. Du musst sofort zum Arzt.«
»Nein!« Sie stöhnte auf. »Nicht!«
»Verflucht, ich habe kein Netz.« Er wollte zur Tür laufen, aber Lorena hielt ihn mit einem Befehl zurück.
Er blieb mitten im Schritt stehen und wandte sich dann ungläubig zu ihr um. Sie riss sich ihren Pullover herunter und sprang dann auf. Mit einem Geräusch, wie wenn Wind in ein Segeltuch fährt, klappten ihre Flügel auf.
»Du … du hast dich ge… gewandelt«, stotterte Jason.
»Ja, das merke ich auch«, blaffte ihn Lorena an. »Ich konnte nicht anders.«
Jason hob den Arm und deutete auf das Dachfenster. »Aber es ist noch nicht dunkel. Sagtest du nicht, du könntest dich nur in der Dunkelheit wandeln?«
Lorena war verwirrt. Sie ging zum Fenster und sah in den Garten hinunter, über den sich erst langsam die Dämmerung des späten Herbstnachmittags herabsenkte.
»Das ist richtig«, sagte sie leise. »Noch nie habe ich mit diesen Augen Tageslicht gesehen.«
»Heißt das, dass diese Pillen genau das Gegenteil dessen bewirken, was du erhofft hast? Oder bedeutet es gar …« Er sprach den Satz nicht aus, doch sie sah, wie sich ein Ausdruck der Hilflosigkeit auf seiner Miene ausbreitete.
Sie wusste, was er hatte sagen wollen, und der Gedanke war erschreckend. »Du meinst, dass ich nun immer in dieser Gestalt bleiben muss?«
Sie starrten einander an. Ehe sie wieder Worte fanden, hörten sie Schritte auf der Treppe. Dann erklang Frau Sanders Stimme. Lorena tauchte hinter einem Stapel Kisten ab, während es Jason übernahm, ihr Angebot, mit ihr zu Abend zu essen, freundlich, aber bestimmt abzulehnen. Enttäuscht stieg Frau Sanders die Treppe wieder hinunter.
»Sie ist weg«, verkündete Jason. Lorena erhob sich hinter dem Stapel der Kisten. Sie fühlte sich verwirrt, ihre Sinne spielten verrückt. Was zum Teufel ging da in ihr vor? Was machte diese winzige, rote Pille mit ihrem Körper und ihrem Geist?
»Ich brauche Luft!« Sie stöhnte, quetschte sich zwischen den Möbelstücken hindurch zum Fenster und drückte es mit Gewalt auf. Es war nicht gerade groß, doch das war ihr nun kein Hindernis. Sie hechtete durch die Öffnung und ließ sich einfach fallen. Jasons Schrei folgte ihr, doch bis er ans Fenster gestürzt war, hatte sie längst ihre Schwingen entfaltet, die ihren Sturz rechtzeitig bremsten und sie dann im schwindenden Licht des Tages in den Himmel steigen ließen.
»Es war schrecklich«, berichtete Lorena ihrer Großmutter am nächsten Morgen, als sie in ihrer normalen Gestalt bei ihr im Zimmer saß. »Ich habe die ganze Nacht gebraucht, um irgendwie wieder die Kontrolle zurückzubekommen. Ich wusste nicht, was ich tat. Also flog ich so weit weg wie nur möglich. Erst am Morgen ist es mir gelungen, mich zurückzuwandeln.«
Jason stand schweigend am Fenster und sah hinaus. Vielleicht hatte er jetzt endlich begriffen, was es bedeutete, sich mit einem Nachtmahr eingelassen zu haben. Gefährlich und unberechenbar!
Ihre Großmutter sah sie bekümmert an. »Es ist alles meine Schuld. Ich habe so vieles vergessen. War da nicht ein Schreiben in der Truhe? Ich dachte, ich hätte es dort gelassen.«
Lorena zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht nachgesehen. Ich war so froh, die Pillen zu finden, dass ich gleich eine genommen habe. Es war leichtsinnig, das sehe ich jetzt ein.«
Ihre Großmutter nickte. »Ja, doch gib dir nicht selbst die Schuld. Wenn ich dir nicht so verworren davon erzählt hätte, wäre es nicht passiert. Wir können froh sein, dass dir nichts weiter geschehen ist. Doch zurück zu der Anweisung. Ich erinnere mich wieder.«
»Und wie lautet sie?«, ließ sich Jason ein wenig ungeduldig vom Fenster her vernehmen.
»Oh, nur zu Neumond. Die Pille muss am Morgen nach der Wandlung zu Neumond genommen werden. Dann unterdrückt sie für einen Monat den Drang der Wandlung und schenkt dem Nachtmahr einen klaren Verstand und die Freiheit der Wahl«, zitierte sie die Worte, die ihr nun plötzlich wieder klar vor Augen zu stehen schienen.
»Und zu jedem anderen Zeitpunkt bewirken sie genau das Gegenteil«, vermutete Lorena. »Gut, dann müssen wir bis Neumond
Weitere Kostenlose Bücher