Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
warten. Das sind nur noch ein paar Tage.«
Jason fuhr herum und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Du willst das Zeug doch nicht noch einmal probieren?«
Die beiden Frauen sahen ihn verständnislos an.
»Aber ja doch«, meinte Lorena. »Das ist meine Chance, Kontrolle über mein Leben zu erhalten. Das ist sehr wichtig für mich. Vielleicht kann ich dann endlich die Angst ablegen, dass ich etwas Unverzeihliches während meiner Wandlung tue, das nicht wiedergutzumachen ist. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich Leben zerstöre«, fügte sie bitter hinzu.
Auch Else Maschek war dafür. »Es hat früher gut funktioniert. Ich habe dir die Pillen immer am Morgen nach Neumond gegeben, und soviel ich weiß, hast du dich in dieser Zeit nur noch selten gewandelt.«
»Nur wenn ich es wollte und natürlich zu Neumond«, bestätigte Lorena. »Das war noch während der ganzen Highschoolzeit so.« Sie seufzte. »Ich war ja brav und habe mich an deine Anweisungen gehalten. Bis ich dachte, ich sei erwachsen und müsse mich von meiner Vergangenheit lösen. Es war ein Fehler, den ich bitter bereue.«
»Was hast du getan?«, fragte ihre Großmutter sanft. »Die Pillen sind dir doch nicht ausgegangen, nicht wahr? Ich glaube mich zu erinnern, dass ich dir genug für ein halbes Leben mitgegeben habe.«
Lorena nickte und senkte beschämt den Kopf. »Ich wusste nicht, was sie bewirken, aber vielleicht hat das Wilde in mir etwas geahnt. In der Neumondnacht nach der Abschlussfeier habe ich den Rest der Tabletten ins Klo geworfen. Es war ein Gefühl von Triumph und Freiheit. Wie dumm von mir! Ich habe freiwillig dem Nachtmahr die Macht über mich und mein Leben zurückgegeben.«
Am Nachmittag fuhren sie wieder hinaus zum alten Haus der Großmutter. Viel gab es nicht mehr zu tun. Die meisten Kisten, die sie interessierten, waren bereits im Kofferraum des Mietwagens verstaut, und für die Möbel würden sie eine Spedition schicken, wie sie Frau Sanders mitteilten. Die Truhe mit ihrem wertvollen Inhalt stand, unter einer Decke verborgen, auf dem Boden hinter dem Fahrersitz.
»Den Rest werden wir dann abholen lassen. Vielleicht will eine Hilfsorganisation die Kleider und Küchengeräte an Bedürftige verteilen. Sie werden also endlich Ihren Dachboden selbst nutzen können.«
Frau Sanders wehrte ab. »Ich habe mich daran gewöhnt, und irgendwie war es ja auch ein schönes Gefühl, dass die Vorbesitzerin mit ihrer Lebensgeschichte mir hier noch immer Gesellschaft leistet. So hatte ich den Eindruck, nicht allein zu sein, vor allem seit mein Mann tot ist.« Sie seufzte, setzte dann aber ein Lächeln auf und bestand darauf, das am Tag zuvor versäumte Abendessen nachzuholen.
Lorena und Jason gaben nach, da sie sahen, welche Freude sie Frau Sanders damit bereiteten. Dann verabschiedeten sie sich herzlich und kehrten in die Pension zurück, in der sie übernachteten. Am nächsten Morgen fuhren sie noch einmal zu Else Maschek, ehe sie sich schweren Herzens verabschiedeten und sich auf die lange Rückfahrt nach London machten.
Lorena fieberte der Neumondnacht entgegen. Die nächsten Arbeitstage war sie unkonzentriert, und es unterliefen ihr einige Fehler, die weder ihren Kollegen noch ihrem Chef entgingen. Der rief sie am Freitag sogar in sein Büro und forderte sie auf, die Tür zu schließen, ehe er ihr das eröffnete, was er ihr zu sagen hatte. Es wurde nicht angenehm, und als sie eine Viertelstunde später sein Büro mit flammend roten Wangen verließ, wusste sie die Blicke jedes Kollegen auf sich gerichtet. Die einen voll Mitgefühl, manch andere eher mit mehr oder minder verhüllter Schadenfreude. Natürlich konnte sich Alice ein paar halblaute Bemerkungen nicht verkneifen, die garantiert das ganze Büro mitbekam. Mit fest zusammengekniffenem Mund arbeitete Lorena stumm weiter, bis es endlich Zeit war, ins Wochenende zu gehen.
»Und, werden wir dich nächste Woche noch hier sehen?«, erkundigte sich David in gespielt lässigem Ton, als sie zusammen im Aufzug standen. Sie wussten beide, dass man in ihrer Branche sehr schnell auf der Straße stand.
Lorena versuchte sich an einem Lächeln. »Mir ist nichts Gegenteiliges bekannt. Auch wenn mir ordentlich die Leviten gelesen wurden.«
Es tat ihr gut, Davids Erleichterung zu spüren, und sie lächelte ihn an.
»Also, dann bis Montag, und ich verspreche, meinen Kopf nächste Woche nicht irgendwo daheim zu vergessen.«
David nickte. »Das ist sicher eine gute Idee. Aber lass
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