Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
die Manager die dicken Boni einschieben und sich auf ihren Sesseln ausruhen, wir Händler dagegen sitzen auf einem Schleudersitz und sind nur allzu schnell austauschbar.«
»Warum machst du das überhaupt?«, wollte Jason wissen. »Es gibt doch genügend andere Jobs, die – sagen wir – interessanter sind und weniger fragwürdig mit Geld umgehen.«
Lorena ging in Verteidigungsstellung. »Ja? Was denkst du? Ich habe keine besondere Begabung, so wie du. Sollte ich lieber Verkäuferin sein oder Sekretärin, statt auf dem Spielplatz der Männer mitzumischen? Jedenfalls gibt mir der Job eine finanzielle Unabhängigkeit, die ich sonst nicht hätte. London ist nicht gerade billig, und ich habe keine Familie, die mir jederzeit unter die Arme greifen kann. Meine Eltern sind tot, meine Tante hat bereits genug für mich getan, und meine Großmutter lebt in einem Pflegeheim in Deutschland, an das ich jeden Monat eine ordentliche Summe überweisen darf.«
Jason hob abwehrend die Hände. »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht angreifen. Es ist nur so, wenn man über die Machenschaften der Broker in Europa und Amerika liest und wie sie die Wirtschaft, ja, ganze Länder in den Abgrund reißen, dann steigt in mir Wut auf, und ich frage mich, warum man nicht alles tut, um diesen Zockern das Handwerk zu legen, die einfache Leute um ihre Ersparnisse bringen und sich skrupellos bereichern. Und wenn es schiefgeht, dann dürfen die Steuerzahler ran und die Banken mit Milliarden retten!«
Lorena nickte versöhnlich. »Du hast ja recht. Es ist nicht so, dass mir diese Gedanken nicht auch durch den Kopf gehen, aber erstens nehme ich nicht das Geld von Privatleuten, sondern von Firmen, und zweitens arbeite ich nicht für Hedgefonds. Ich wette nicht auf den Zusammenbruch irgendwelcher Länder, und ich zocke nicht mit Lebensmitteln.«
»Aber mit Rohstoffen, nicht wahr?«
Lorena seufzte. »Ja, mit allen möglichen Optionen.«
Jason winkte ab. »Lassen wir das. Es ist dein Job, und ich versuche, das zu akzeptieren. Dennoch finde ich es schade, dass du schon gehen willst. Dafür musst du am Freitag mit mir ausgehen.«
»Gern, wohin? Spielst du im Mau Mau?«
Jason schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe frei und möchte mit dir tanzen gehen. Magst du Salsa?«
»Salsa?«, wiederholte Lorena und starrte ihn aus großen Augen an.
»Ja, es ist fantastisch. Wenn du es noch nicht kannst, dann wirst du es bestimmt schnell lernen. In der Latina Bar gibt es ab neun eine Einführung, und dann wird getanzt, bis der Morgen graut. Du wirst sehen, es wird ganz wunderbar.«
Lorena wagte nicht, ihm zu widersprechen, doch in ihrem Magen krampfte sich alles zusammen. Sie war weder sportlich, noch hatte sie sich je als elegante Tänzerin hervorgetan. Sie würde sich fürchterlich blamieren!
Auch jetzt, da sie daheim in ihrem Sessel saß und auf Mitternacht wartete, plagten sie ihre Gedanken. Seit ihrer Schulzeit hatte sie Sport gemieden, wann immer es möglich war. Vor allem jene sportlichen Aktivitäten, bei denen es Zuschauer gab, die jeden noch so kleinen Mangel gnadenlos ans Licht zerrten und ihre Zungen daran wetzten. Dabei liebte sie Musik und Tanz über alles, doch Lorena zog es vor, unter Ausschluss der Öffentlichkeit in ihrem Wohnzimmer und ihrem Flur zu tanzen. Wie sollte sie da vor Jason und den anderen Besuchern der Salsabar bestehen? Es war, als habe sie wieder das Getuschel und Gelächter ihrer Mitschülerinnen im Ohr, das ihr jede Sportstunde in der Schule verhasst gemacht hatte. Erinnerungen stiegen in ihr herauf. Lorena zog ihr Buch heran und nahm den Füller in die Hand.
»O Gott, heute steht Geräteturnen auf dem Programm!« Melanie stöhnte auf.
Ich betrat hinter ihr die Turnhalle und stimmte in ihr Stöhnen mit ein, als mein Blick auf den aufgebauten Stufenbarren fiel. Dahinter erkannte ich mit Schaudern eine Reckstange und einen Kasten mit einem kleinen Trampolin auf der einen und einer dicken Matte auf der anderen Seite.
»Kopf hoch, Mädels, und immer lächeln«, sagte Sabrina, die sich mit einem breiten Grinsen zwischen uns Freundinnen schob. Sie hatte gut reden. Sie war nicht nur einen Kopf größer als Melanie und ich, sie war schlank und hatte dennoch schon eine Figur, dass die Jungs der höheren Klassen hinter ihr hersahen. Dennoch war sie nie hochnäsig, und wir drei waren recht gute Freundinnen.
Sabrina klopfte uns beiden auf den Rücken. »Wir werden diese Doppelstunde schon überleben, obwohl es eine noch
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