Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
Besonderes aufgefallen.«
Die Lady schnaubte durch die Nase, ließ sich aber immerhin zu einer Antwort herab. Oder genauer gesagt zu einer Gegenfrage.
»Weißt du, wann Lorena geboren wurde?«
Raika hob die Schulter. »Keine Ahnung. Irgendwann Mitte der Achtziger, nehme ich an. Ist das wichtig?«
»Sie wurde am 21. Dezember 1984 geboren, und ja, es ist wichtig.«
Raika überlegte. »Wintersonnwende. Die längste Nacht des Jahres.«
»Die Nacht der Mahre, besonders, wenn sie auch noch mit Neumond zusammenfällt!«, fügte die Lady hinzu.
Raika nickte, obgleich sie noch immer nicht verstand.
»Die Letzte von uns, die in solch einer Nacht geboren wurde, bin ich«, fügte die Lady leise hinzu.
Was wollte sie damit sagen? Sollte Lorena etwa irgendwann den Platz der Lady einnehmen? Oder hatte die Lady gar Angst, sie könnte ihr ihren Thron streitig machen? Beobachtete Mylady sie deshalb voller Misstrauen und war auf der Hut, um nicht von irgendetwas überrascht zu werden? Raika dachte an Lorena. Nein, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Nachtmahr der mächtigen Lady gefährlich werden könnte. Was also hatte sie vor?
Natürlich war Mylady nicht bereit, auch nur den kleinsten Hinweis zu ihren Plänen zu geben, daher fragte Raika: »Und Jason? Ist an ihm auch etwas Besonderes?« Ihr Ton ließ schon hören, dass sie das kaum glauben konnte. Immerhin war er nur ein Mann. Es gab keine männlichen Nachtmahre. Männer waren nur dazu da, sich mit ihnen die Zeit zu vertreiben und sich – wenn die Zeit gekommen war – mit ihnen zu paaren, um eine neue Generation von Nachtmahren zu zeugen, oder um sie zu willenlosen Dienern zu machen.
»Jason«, wiederholte die Lady, und ihre Stimme klang, als würde sie lächeln. »Ja, an ihm ist auch etwas Besonderes, deshalb ließ ich ihn schon vor vielen Jahren Lorenas Wege kreuzen, doch es hat nicht funktioniert. Sie waren noch zu jung und unreif, als dass er sich dauerhaft in sie verliebte. Doch nun scheint die rechte Zeit gekommen. Es wird funktionieren – wenn nicht ein hirnloser Nachtmahr um seiner Hormone willen dazwischenfunkt!«
Raika fühlte sich ungerecht behandelt. Sie wusste noch immer nicht, was an dem Kerl so besonders sein sollte. Schließlich hatte ihr keiner gesagt, sie solle ihn nicht anrühren. Dann hätte sie selbstverständlich Abstand gehalten …
»… oder du wärst so neugierig geworden, dass du ihn gerade deshalb probiert hättest«, vervollständigte die Lady den Gedanken.
Raika erschrak. Sie wusste zwar, dass die Lady über mächtige Magie verfügte und Menschen wie Nachtmahre durchschaute, doch dass sie jeden Gedanken mitverfolgen konnte, war ihr nicht bewusst gewesen. Verflucht, sie musste sich in Zukunft in ihrer Gegenwart noch mehr zusammennehmen.
Die Lady lachte spöttisch, was vermutlich die Antwort auf diesen Gedanken war. Dann sah sie Raika nachdenklich an. Sie schwieg so lange, dass Raika ganz nervös wurde, dann endlich begann sie wieder zu sprechen.
»Da du nun schon einmal die Bekanntschaft von Jason gemacht hast, sei klug und nutze sie. Du musst Lorena herausfordern. Ich will, dass sie sich Jason als Nachtmahr zeigt.«
»Wie soll ich das denn machen?«, wollte Raika wissen. »Und warum?«
Doch die Lady kicherte nur. »Lass dir was einfallen, aber Finger weg! Er gehört nicht dir.«
Sonntagabend. Lorena hatte sich schweren Herzens von Jason verabschiedet und war allein nach Hause gegangen. Er hatte heute keinen Auftritt und eigentlich Zeit, und da sich der Londoner Frühherbst von seiner regnerischen Seite zeigte, hatten sie fast den ganzen Nachmittag in seinem Bett verbracht. Sie hatten Musik gehört, Pralinen genascht, Kaffee getrunken, sich unterhalten – und natürlich hatten sie Zärtlichkeiten ausgetauscht und Sex gehabt, himmlischen Sex!
Sicher war er enttäuscht, dass sie sich so früh davongemacht hatte, doch Lorena fürchtete, wenn sie seinem Vorschlag folgte, noch ein wenig durch die Stadt zu streifen, würde sie wieder so eine hektische Flucht hinlegen müssen wie nach dem Konzert in der Cadogan Hall. Ihr gingen nach und nach die möglichen Erklärungen aus, und so log sie ihm lieber vor, früh zur Arbeit zu müssen und genügend schlafen zu wollen, um am Morgen wach und konzentriert zu sein.
»Ich weiß, dass du von meiner Arbeit nicht viel hältst, dennoch ist es ein Job, bei dem man sich keinen Fehler erlauben kann, sonst ist man ganz schnell draußen auf der Straße. Es mag ja sein, dass
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