Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin
schlimmere Nachricht gibt …« Sie nickte zum Geräteraum hinüber, in dessen Tür Herr Lohmeier auftauchte.
»Nein«, jammerte Melanie. »Sag nicht, dass Frau Johannsen schon wieder krank ist.«
»Yeap«, erwiderte Sabrina. »Wir werden also heute das Vergnügen haben, uns von Herrn Lohmeier in die Geheimnisse des Gerätesports einweihen zu lassen.«
Sie redete immer so, und manche nannten sie deshalb eine Streberin, auch weil sie gute Noten in den meisten Fächern hatte. In Englisch und Französisch war sie viel besser als ich, doch sie ließ mich in den Vokabelarbeiten immer abschreiben, wenn sie das Glück hatte, nicht weggesetzt zu werden. Dafür half ich ihr in Mathe. Das blickte sie nicht so recht. Melanie dagegen war nur in Musik und Kunst gut.
»Ich hasse Geräteturnen«, schimpfte Melanie, und ich konnte ihr da nur zustimmen. Melanie war zwar noch kleiner und ein wenig korpulenter als ich, dennoch fühlte ich mich bei diesen Foltergeräten ähnlich unwohl. Solange auf dem Boden geturnt wurde, ging es ja noch, obwohl ich im Handstand eher umkippte, als kontrolliert aus der gestreckten Haltung ins Abrollen zu finden. Außerdem wollte es mir einfach nicht gelingen, mich aus der Rolle rückwärts in den Handstand aufzustemmen. Mein linker Arm knickte immer ein. Dafür konnte ich ganz gut Radschlagen. Melanie winkelte dabei immer eines ihrer Beine ab und geriet so ins Torkeln. Doch wenn es um einen Umschwung an der Reckstange ging, versagten wir beide kläglich. Ich kam wenigstens noch hinauf, doch Melanie schaffte nicht einmal den Aufschwung. So waren ihre Noten auch noch tiefer im Keller als meine. Dennoch verabscheute ich Geräteturnen mindestens so sehr wie Melanie. Es war nicht die Vier, die mich störte, und auch nicht der Blick meiner Lehrerin, in der das Wort »Versager« zu lesen stand – nun gut, das kränkte mich schon; sie schüttelte immer so fassungslos den Kopf, als könnte sie nicht verstehen, wie es auf Gottes Erde solch unsportliche Wesen wie Melanie und mich geben konnte. Doch noch schlimmer war diese Hilflosigkeit, die mich überfiel, wenn ich an der Stange hing und es nicht schaffte, meinen Körper zu kontrollieren. Ich befahl meinen Muskeln, sich anzuspannen, und meinen Armen und Beinen, eine bestimmte Stellung zu halten, doch da war nichts. Sie verweigerten mir den Dienst. Sie sprachen nicht mit mir. Sie waren vielleicht gar nicht da.
»Mehr Körperspannung, Lorena! Weißt du überhaupt, was das ist?«
Ich hing wie ein nasser Sack an der Reckstange und hörte, wie die anderen kicherten.
Was war das alles dort unten um meine nicht gerade schlanke Mitte? Alles nur Fett? Muskeln konnten es jedenfalls nicht sein, oder zumindest keine, die sich meiner Kontrolle unterwarfen.
»Die Nächste!«
Die einzigen erlösenden Worte in dieser Stunde. Ich trottete in die Reihe zurück, wo Sabrina mich mit aufmunternden Worten empfing. Sie hatte gut reden. Ihr Umschwung war erste Sahne.
Danach sprangen wir über den Kasten. Gehockt, dann seitlich mit gestreckten Beinen und dann in einem Handstandüberschlag. Das ging gerade so. Nur die arme Melanie blieb einmal mit den Fußspitzen am Kasten hängen und stürzte Kopf voraus in die Matte. Als Lohn gab es großes Gejohle und ätzende Kommentare von Herrn Lohmeier.
Idioten! Alles Idioten!
Mit hochrotem Kopf kam sie zu uns zurück. Ich sah, dass sie den Tränen nahe war, tröstete meine Freundin und war froh, es selbst halbwegs hinbekommen zu haben.
Natürlich durfte ich mich nicht lange an meiner Erleichterung erfreuen. Dies war schließlich die gefürchtete Doppelstunde Sport, in der Herr Lohmeier stets zur Höchstform auflief und uns Freundinnen noch viel mehr quälen konnte.
»Genug mit dem Kasten«, rief er. »Kommt zum Stufenbarren.«
»Immer wenn man denkt, es kann nicht noch schlimmer werden …«, murmelte Melanie, die ziemlich blass aussah.
Ich sagte nichts, denn schon rief Herr Lohmeier mich nach vorn. Den Aufschwung schaffte ich noch, doch dann hatte ich Schwierigkeiten, mich zum oberen Holm aufzustemmen. Ich versuchte, das Gelächter auszublenden, und biss die Zähne zusammen. Das musste doch gehen! Sabrina schaffte es schließlich auch.
Endlich war ich da, wo ich hinsollte, doch Herrn Lohmeiers Mund war nur noch ein einziger Strich des Missfallens.
»Weiter«, sagte er knapp.
Scheiße. Nun hatte ich es endlich nach oben geschafft und stand vor dem nächsten Problem: dem Abgang. Ich beugte mich vor und fasste mit der einen Hand
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