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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Ich fühlte mich dann so stark und frei, als könnte ich alles haben. Und ich hatte schon die verrücktesten Dinge in diesen Nächten angestellt. Doch so ganz sicher war ich mir manches Mal nicht, was ich erlebt und was ich nur geträumt und mir in meiner Fantasie ausgemalt hatte.
    Während des Abendessens war ich so zappelig, dass es sogar meinem Vater auffiel. Er stellte viel zu viele Fragen, die ich nicht beantworten konnte – und auch nicht beantworten wollte! So zwang ich mich, ruhig zu sein, aß aber schweigend weiter und war froh, als mein Vater den Fernseher anschaltete. Ich setzte mich in den vom Sofa am weitesten entfernten Sessel, während meine Mutter neben ihrem Mann Platz nahm. Die Nachrichten liefen, aber ich bekam fast nichts mit. Von irgendwelchen Unfällen war die Rede, einer Massenkarambolage auf der A1 nach Bremen. Und dann von einem Großbrand in Hamburg. Das interessierte mich nicht, doch ich blieb sitzen, um nicht noch mehr Fragen abwehren zu müssen.
    Meine Mutter war mit ihren Gedanken auch nicht so recht bei der Sache. Sie sah immer wieder zum Fenster, wo der Regen gegen die Scheiben prasselte. Ich hörte die Windböen um das Haus heulen.
    »Und bei diesem Wetter müssen wir noch mal raus«, sagte meine Mutter und seufzte.
    »Soll ich mir ein Taxi nehmen?«, fragte mein Vater, doch sie schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich fahr dich nach Fuhlsbüttel.«
    Der Sprecher war bei der Wettervorhersage angekommen, als Mutter aufsprang. »Dann lass uns jetzt aufbrechen. Wer weiß, wie gut wir bei diesem Regen durchkommen. Nicht, dass du deinen Flug noch verpasst.«
    Mein Vater erhob sich ebenfalls, doch er schien es nicht eilig zu haben. Er trat zu mir und wuschelte mir das Haar, was ich gar nicht leiden konnte.
    »Tschüss meine Große, sei anständig und pass auf dich auf! Wir sehen uns Freitag wieder.«
    »Hm«, erwiderte ich nur und deutete ein Nicken an.
    Meine Mutter hatte schon ihren Mantel an und die Autoschlüssel in der Hand.
    »Thomas, hol dein Gepäck! Ich fahr schon mal das Auto aus der Garage. Lorena, ich denke, ich bin gegen elf zurück.«
    Ich tat so, als würde im Fernsehen was Spannendes laufen. Dann waren sie endlich weg. Ich hörte draußen den Motor brummen und lief zum Fenster. Wasser spritzte in Fontänen nach allen Seiten, als das Auto durch die Pfützen der Auffahrt zur Straße fuhr. Dann waren auch die roten Rücklichter in der Dunkelheit verschwunden. Erleichtert atmete ich auf.
    Was jetzt? Ich war noch immer unruhig und ging in mein Zimmer. In einem Versteck lagerte ich ein paar Kleidungsstücke. Elegante, verführerische Kleidungsstücke, die einer erwachsenen Frau standen, nicht aber einem fast vierzehnjährigen Mädchen. Dennoch zog ich mich aus und probierte sie an. Ich hatte ein komisches Gefühl dabei, denn ich konnte mich gar nicht daran erinnern, wie ich zu ihnen gekommen war. Hatte ich mir die Kleider gekauft? Wann und von welchem Geld? Oder hatte ich sie gestohlen? In einer der Nächte, an die ich mich nicht mehr so recht erinnern konnte?
    Egal. Jetzt jedenfalls gehörten sie mir – oder besser gesagt dem geheimnisvollen Wesen, das in mir zu wohnen schien und sich immer nur nachts zeigte.
    Würde die schöne Frau in dieser Nacht wiederkommen und meinen unscheinbaren Mädchenkörper wandeln?
    Ich stand in diesen lächerlichen Kleidern vor dem Spiegel. Nein, nicht die Kleider an sich waren lächerlich. Sie sahen an meinem Körper lächerlich aus. Ich schloss die Augen und dachte ganz fest an die schöne Frau, an ihre makellosen Züge und ihr wundervolles Haar, an diesen großen, festen Busen, den flachen Bauch und an die langen Beine. Und natürlich an die Flügel, die sie ganz nach Belieben aus den Schlitzen unter ihren Schulterblättern hervorklappen konnte.
    Ich wusste nicht, wie lange ich so mit geschlossenen Augen vor dem Spiegel stand. Das Telefon hatte zweimal geklingelt, doch ich hatte mich nicht von der Stelle gerührt. Ich hörte die Windböen und dann ein fernes Donnern, das mit jeder Minute näher kam, aber ich konzentrierte mich weiterhin auf die schöne Gestalt, die irgendwo in mir verborgen sein musste und die ich mit aller Macht zum Vorschein bringen wollte.
    Plötzlich bemerkte ich es. Es ging los! Ja, der Schmerz, der mich zu Anfang so erschreckt hatte, war mir nun willkommen, und ich ertrug ihn mit Stolz. Ich konnte es überall spüren, auf meiner Haut, in meinen Muskeln und den Knochen, wie sie sich veränderten. Selbst wie mein Haar wuchs,

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