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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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mich mit einer seltsamen Miene anstarrte. Verzweiflung war darin zu lesen, ungläubiges Entsetzen und eine tiefe Trauer.
    Nein!
    Das gehört nicht hierher. Das war, als er mich im Krankenhaus besucht und sich an mein Bett gesetzt hat. Er hat mich nur angesehen, konnte das Entsetzliche nicht aussprechen, doch ich habe es gewusst: Die Mutter war tot!
    Ich lag am Fuß der Treppe, die Wangen bleich, die Augen wie vor Schreck weit aufgerissen. Und ich war nicht allein. Neben mir lag meine Mutter, und ich spürte, wie die Wärme aus ihrem Körper wich. Sie war weg. Meine Mutter war für alle Zeiten gegangen. Aber ich war noch da, spürte den Schmerz und den langsam erkaltenden Körper eng an meinem eigenen Leib.
    Lorena fühlte, wie der Schmerz gegen die Innenseite ihres Schädels pochte.
    Schmerz, ja, ich erinnere mich an ihn, doch es war nicht nur das gebrochene Handgelenk, das mir wehtat. Es gab etwas viel Größeres, das in der Dunkelheit pochte. Es ist immer da, um mich an etwas zu erinnern.
    An meine Schuld?
    Unsinn!
    Und doch sind da diese Fragen …
    Lorena spürte, wie ihr Tränen der Verzweiflung in die Augen stiegen und über die Wangen rannen. Fragen, immer neue Fragen, die sie nicht beantworten konnte.
    Ich hatte die Augen geschlossen, aber ich schlief nicht. Ich konnte die Stimmen hören, und ich lag noch immer im Krankenhaus. Dachte ich. Eine Hand legte sich auf meine. Es war nicht die meines Vaters. Er war nicht oft da. Er müsse so viel organisieren, hatte man mir gesagt, doch ich dachte, dass keiner diesen vorgeschobenen Grund glaubte. Er konnte es einfach nicht ertragen, mich ansehen zu müssen. Noch weniger, als mich zu berühren.
    Die Hand streichelte meinen Arm, wanderte hinauf und wieder hinab, bis sie erneut auf meiner Hand lag. Ich schloss die Finger fest um sie. Sie war schmal, die Haut trocken und faltig. Meine Großmutter war gekommen. Auch in ihrem Blick hatte ich das Entsetzen gelesen, doch es stand kein Vorwurf darin. Nur tiefe Traurigkeit.
    Dann hörte ich die Stimmen vor der Tür. Meine Großmutter zuckte zusammen. Es war eine fremde, leise Männerstimme, die ich nicht kannte. Die Antwort meines Vaters dagegen war so laut, dass ich nicht weghören konnte.
    »Was soll das heißen, es gibt keinen Zweifel? Es muss ein Unfall gewesen sein! Oder es war noch jemand anderes im Haus, der sie gestoßen hat.«
    Nun sprach auch der Mann ein wenig lauter. Ich hätte so gern die Ohren verschlossen, doch ich lauschte mit angehaltenem Atem.
    »Es tut mir leid. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen als das, was die Spurensicherung und die Autopsie ergeben haben. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich außer Ihrer Frau und Ihrer Tochter jemand im Haus aufgehalten hat.«
    Der Griff um meine Hand verstärkte sich, und auch ich klammerte mich fest, als könnte ich mich dadurch retten.
    Vor dem, was geschehen war? Oder nur vor den Worten, die mich vernichteten?
    »Dann kann es trotzdem ein Unfall gewesen sein!«, beharrte mein Vater, und es tröstete mich seltsam, dass er mich wenigstens vor den anderen verteidigte, auch wenn ich in seinen Augen gesehen hatte, dass er die Schuldige längst gefunden hatte.
    »Bei der Autopsie wurden Hämatome an den Handgelenken Ihrer Frau gefunden. Sie hat mit jemandem gerungen. Ein weiteres Hämatom an der Seite stammt von einem heftigen Stoß. Sie muss versucht haben, sich am Treppengeländer festzuhalten. Zwei ihrer Fingernägel sind abgebrochen. Wir haben sie im Holz des Geländers gefunden.«
    »Ja und?«, erwiderte mein Vater trotzig. »Das beweist gar nichts.«
    »Ihre Frau hat ihren Angreifer gekratzt, ehe sie fiel«, fuhr der Kriminalbeamte erbarmungslos fort. »Sehen Sie sich die Arme Ihrer Tochter an. Es war ihre Haut, die wir unter den Nägeln Ihrer Frau fanden.«
    Der Laut hörte sich an wie ein Schluchzen, und endlich schien der Beamte Mitleid zu empfinden.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er, »aber das sind die Fakten.«
    Vielleicht beugte er sich nun über meinen Vater, der auf einen Stuhl gesunken war und das Gesicht in den Händen vergrub. Vielleicht tätschelte er ihm sogar mitleidig die Schulter.
    »Wir wissen nicht, aus welcher Stimmung heraus das alles passiert ist. Ich will nicht behaupten, es wäre geplant gewesen. Vielleicht ein Streit, der eskalierte. Viele Teenager neigen in diesem Alter zu unkontrollierten Zornausbrüchen, unter deren Einfluss sie Dinge tun, die sie nachher bereuen.«
    »Was ändert das?«, erwiderte mein Vater unter Schluchzen.

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