Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Geste.
Walter Dreyer lenkte lieber ab: »Sagen Sie, Dr. Harmsen, haben Sie in letzter Zeit Fälle von Tierquälerei behandeln müssen? Oder davon gehört?«
»Zum Glück nicht. Zumindest sind mir in meiner Praxis oder auch bei den Hausbesuchen keine auffälligen Tiere vorgestellt worden. Niemand wurde der Tierquälerei bezichtigt. Doch wenn die Halter selber ... Das werden die mir kaum erzählen.« Er dachte nach. »Vor einem halben Jahr musste ich einen völlig verdreckten Pferdestall schließen. Die Tiere wurden nicht mehr ordentlich versorgt, waren unterernährt und litten an Infektionen. Das war sicher auch Tierquälerei. Doch so was hier? Da ist das Tier doch eher Mittel zum Zweck gewesen. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Gerade deswegen werde ich mein Bestes geben, um Ihnen die gewünschten Informationen zu seinem Tod zu liefern«, versprach Harmsen.
Während der Tierarzt zu seinem Auto ging, um die für die Erstuntersuchung und den Abtransport nötigen Dinge zu holen, verschloss Walter Dreyer die Haustür von innen und verließ mit seinen Kollegen das Haus wieder über die Gartenseite. Neugierig gesellten sie sich zu Dr. Renz und dem Tierarzt.
Harmsen kramte in einem großen silberfarbenen Blechkoffer und entnahm ihm zwei Paar Einmalhandschuhe. Eines gab er Dr. Renz, und während er das andere überstreifte, bat er: »Zwei Fragen hätte ich noch, Frau Brunner.«
»Na los.«
»Nummer eins: Wissen Sie, wem der Hund gehört?«
Alle sahen Walter Dreyer an.
Der schüttelte bedächtig den Kopf. »Das müssen wir erst noch rauskriegen. Ich erkenne das Tier jedenfalls nicht auf Anhieb.«
»Gut. Dann ist meine zweite Frage noch wichtiger. Was passiert mit dem Hund, wenn ich mit meinen Untersuchungen fertig bin?«
»Was meinen Sie?«, fragte Judith Brunner.
»Na, wem übergebe ich die Überreste? Wenn sie überhaupt jemand haben will. Tiere sehen nach Nekropsien in der Regel nicht mehr, nun, präsentabel aus. Meistens werden sie danach einfach zum Verbrennen geschickt. Und da gibt man sich im OP nicht mehr solche Mühe wie bei Menschen und näht alles wieder ordentlich zusammen. Wie soll ich konkret bei diesem Tier verfahren?«
Keiner wusste eine Antwort.
»Nicht jeder kann sein geliebtes Haustier begraben«, führte Dr. Harmsen weiter aus. »Manche Leute sind einfach froh, den Kadaver los zu sein.« Er merkte, dass seine Fragen Ratlosigkeit verursacht hatten und schlug vor: »Na, das müssen Sie ja auch nicht sofort beantworten. Ich friere eben alles ein. Jetzt nehme ich den Hund erst einmal mit und werde in meiner Praxis sofort mit der Arbeit beginnen. Dr. Renz hat sich angeboten, bei der Untersuchung zu assistieren und außerdem die nötigen Notizen zu machen. Das ist wirklich eine große Hilfe. Wenn kein echter Notfall dazwischenkommt, müssten wir das in zwei, drei Stunden bewältigt haben. Ich denke, für die Ergebnisse müssen Sie nicht extra zu mir in die Praxis kommen. Ich rufe Sie zum Abend hin an; sicher kann ich Ihnen dann schon die meisten Ihrer Fragen beantworten.«
Judith Brunner bedankte sich bei den beiden Medizinern, schrieb für Dr. Harmsen noch ihre Privatnummer auf einen kleinen Zettel und überließ sie ihrem Vorhaben. Jetzt wollte sie sich selbst noch einmal im unmittelbaren Umfeld des Pfarrhauses umsehen.
Ritter und Dreyer passten interessiert auf, wie der Hundekörper behutsam auf eine Kunststoffplane gelegt wurde, wobei Harmsen darauf achtete, dass der Schwanz im Bauch des Hundes stecken blieb. Dann wurde die Plane eingeschlagen und vorsichtig verschnürt. Mit dem Tierkopf verfuhr Harmsen anschließend ebenso umsichtig.
Unter den Körperteilen des Hundes lag nichts.
Renz und Harmsen verabschiedeten sich.
Als Walter Dreyer die beiden Männer die Pakete in den Wagen des Tierarztes verstauen sah, schlug er nach einem Blick auf seine Uhr vor: »Schon nach halb zwei. Was hältst du von einer Pause? Ich könnte bei mir drüben einen kleinen Imbiss machen.«
»Ich dachte schon, du fragst nie!«, beschwerte sich Ritter grinsend. »Ich bin am Verhungern. Fang ruhig schon mal an, dein Buffet aufzubauen. Ich will bloß die Münzen noch eintüten, ein Foto von der leeren Stufe machen und einige Blutstropfen abkratzen, dann komme ich nach. Der eine meiner Jungs kann den Rest hier erledigen, die Chefin und den anderen bringe ich gleich mit. Du musst dich beim Auftischen nicht in Zurückhaltung üben.«
~ 7 ~
Walter Dreyer hatte sich – wie immer – nicht lumpen lassen.
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