Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
hielten. Nicht zuletzt lag das tote Tier auch auf der falschen Schwelle.
Dann hatte der alte Willmer noch einen Hund dieser Rasse, der es allerdings an Gebrechlichkeit mit seinem Herrchen aufnehmen konnte. An manchen Tagen schafften die beiden es kaum noch, nennenswert voranzukommen, wenn sie nebeneinander hertrotteten. Walter Dreyer war sich bereits sicher, dass Willmers Gefährte nicht der tote Hund gewesen sein konnte, da Dr. Renz von einem jungen Tier gesprochen hatte.
Die beiden anderen Hunde machten ihrem Namen alle Ehre und hüteten tatsächlich ein paar Schafe. Im Oberdorf hielt Rudolf Boll eine kleine Herde, die in der näheren Umgebung von Waldau weidete und die Straßenränder und angrenzenden Hügelwiesen abgraste. Das meiste Geld wurde auf Bolls Hof allerdings mit einer Putenzucht verdient. Boll hatte in den letzten Jahren immer wieder geklaute Tiere zu beklagen, denn seine gut gemästeten Puten taugten hervorragend zu einem leckeren Braten. Deshalb hüteten seine beiden Schäferhunde nicht nur die Schafe, sondern hielten auch uneingeladene Besucher vom Putenstall fern.
Walter verließ sein Büro und machte sich zu Fuß auf den Weg. Seine Route stand fest. Er prüfte zuerst den Zwinger an der Straße nach Engersen. Die Motorräder der Dorfcasanovas waren nicht zu sehen. Der Hund lag angekettet im Schatten des Holzschuppens. Als er Dreyers gewahr wurde, hob er wachsam den Kopf und knurrte. Das genügte als Lebenszeichen.
Von hier führte ihn sein Weg ins Oberdorf – einmal quer durch den ganzen Ort. Walter Dreyer beeilte sich und war zehn Minuten später bei der Schäferei angekommen. Sie gehörte zu den ehemaligen Anlagen des Gutes Waldau und war mit ihren alten, originalen Fachwerkgebäuden immer noch einer der imposanteren Höfe im Dorf. Gebäude auf vier Seiten umschlossen eine große, nur zum Teil gepflasterte Fläche. Der riesige Schafstall begrenzte alles zur Dorfstraße hin. Er wurde mittlerweile für die Putenmast genutzt. Für die Unterbringung der Schafe reichte der Platz in der gegenüberliegenden Scheune, in der vor einigen Jahren neben einer Garage ein geräumiger Verschlag für die Bedürfnisse der Tiere eingerichtet worden war. Die rechte Hofseite begrenzten der Hühnerstall, einige Schuppen und der Heuboden; links befand sich das Wohnhaus. Es stand etwas abseits, sodass ein weites Tor die Zufahrt zum Hof und zu den Wirtschaftsgebäuden sogar für große Fahrzeuge ermöglichte.
Walter Dreyer betrat die Schäferei durch die offen stehende Einfahrt. Ein Hund lief ihm nicht entgegen. Er lauschte vergebens auf ein Bellen. Außer dem Kollern einiger Truthähne war nichts zu hören. Es war Fütterungszeit. Dreyer ging zielstrebig in Richtung Putenstall und trat durch die beiseitegeschobene Rolltür ein. Er wusste, was ihn erwartete und atmete sehr flach. Nicht nur an warmen Tagen ging von der Stroheinstreu ein unerträglicher Gestank aus. Keinesfalls wollte er länger als unbedingt nötig verweilen. Am anderen Stallende entdeckte er Lotte Wenzke, eine junge Frau aus Schwiesau, von der er wusste, dass sie hier stundenweise als Hilfskraft arbeitete. Mit einer Schubkarre fuhr sie vorsichtig die von den schon gut gewachsenen Mastküken belagerten Futterrinnen ab und verteilte die Fertigmischung mit einer kleinen Schaufel. Das aufgeregte Gegacker der kräftigen Jungvögel im Kampf um die besten Futterplätze legte einen ziemlichen Geräuschteppich über den Boden, dessen Strohmatte den Lärm kaum zu dämpfen vermochte.
Mit Unbehagen wartete Walter Dreyer, bis Lotte Wenzke in Türnähe kam. »Guten Tag«, machte er sich lautstark bemerkbar. »Wo kann ich denn den Rudolf Boll finden?«
Ohne den Blick von den Tieren zu nehmen, wies die Frau mit der Nase in Richtung einer Nebentür. »Da hinten, in der Tierküche. Schlachtet ein paar Puten für morgen. In ›Feine Sache‹ wird wieder irgendwas groß gefeiert. Müssen heute noch ausgeliefert werden.«
Walter Dreyer wollte keinesfalls weitere geköpfte Tiere sehen. Er bat: »Würden Sie ihn bitte herholen. Ich muss ihn was fragen.«
Lotte Wenzke warf die Handschaufel zu den Futterresten in die Schubkarre und wischte sich die Hände an ihrer Kittelschürze ab. »Hallo«, grüßte sie, nachdem sie Walter Dreyer erkannt hatte, nun freundlich im Näherkommen und fragte neugierig: »Geht’s um den Hund? Hat ihn jemand gefunden?«
»Was?! Sie wissen von dem Hund?« Dreyer war überrascht.
»Er fehlt schon seit gestern. Wem ist er denn
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