Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
ließ sich die wunderschöne Stimmung aus warmem Sonnenlicht und dörflichen Abendgeräuschen entspannt genießen.
Wilhelmina eroberte flink den vorgewärmten Platz auf dem Fenstersessel und lauschte dem Gespräch durch die offen stehende Tür.
Judith erzählte Laura ausführlich von den Ereignissen und schloss mit dem Bericht über ihre Telefonumfrage. »Sehr erfolgreich war das also nicht«, fasste sie zusammen.
Laura sah das anders. »Also, ich finde dieses Ergebnis eigentlich eher beruhigend. Wäre es nicht furchtbar, wenn du von weiteren derartigen Vorfällen hier in der Gegend erfahren hättest? Ich möchte mir diese Tierquälerei eigentlich gar nicht vorstellen müssen.«
»So gesehen hast du sicherlich recht. Ich ziehe es auch vor, tierliebende Nachbarn zu haben«, stimmte Judith ihr zu.
»Außerdem wisst ihr nun, dass ihr es mit einem singulären Ereignis zu tun habt«, ergänzte Laura ihren Gedanken.
»Bisher, Laura, bisher. Ich fürchte, der tote Hund ist nicht die ganze Geschichte. Da kann noch viel mehr dahinter stecken.«
Laura erschrak. In diese Richtung hatte sie noch gar nicht gedacht. Und auf einmal meldete sich etwas in ihrem Gedächtnis, eine ferne Erinnerung, die sie nicht zu fassen bekam. Sie schloss die Augen, um den Gedanken zu fangen, doch er entschwand. Sie sah Judith an. »Wieso glaubst du das?« Vielleicht bot Judith eine Erklärung an, die sich leicht widerlegen ließe, und es würde gar nicht so furchtbar werden?
Doch Judith zerstörte Lauras Hoffnungen nachhaltig, als sie antwortete: »Weil es so anmaßend ist. Die ganze Szene, einschließlich der Wahl des Pfarrhauses für die Präsentation, zeugt von etwas, das zusammengenommen äußerst gefährlich ist: geballte Arroganz.«
Laura schwieg, ein wenig blass geworden. Ihr Lächeln war verschwunden.
Sie hörten, wie Walter hinter seinem Haus laut nach Wilhelmina rief. Die Suche nach dem Haustier war der unverfänglichste Vorwand, um sich hinter den Häusern durch die Gärten gegenseitig aufzusuchen. Die Katze reagierte natürlich nicht. Die beiden Frauen hingegen freuten sich auf den Besucher.
Wenige Momente später trat Walter durch den verwilderten Nachbargarten auf Lauras Hof. Als er sah, wie Judith und Laura vertraut miteinander in der Nachmittagssonne saßen, bescherte ihm das einen Glücksmoment. »Wie es aussieht, muss ich dir ja nun nichts mehr erzählen«, meinte er mit einem Blick auf Laura.
»So leicht kommst du mir nicht davon«, widersprach sie energisch. »Was ist? Hast du den Hundebesitzer gefunden?«
Seufzend ließ sich Walter auf einen Gartenstuhl fallen. »Vom Boll. Die Melli.«
»Oh nein!«, rief Laura. »Da wird der Junge aber traurig sein.«
»Boll und seine Schwester schienen mir auch ziemlich geschockt.« Walter berichtete ausführlicher von seinem Besuch in der Schäferei.
»Ich hol dir erst mal ein Bier«, bot Laura an. »Möchtest du auch eins, Judith?«
»Lass mich das machen; mit deiner verletzten Hand solltest du dich schonen«, ging die auf den Vorschlag ein.
Laura nickte dankend.
Während Judith in der Küche war, fiel Walter ein: »Ach, Laura, ich wollte dir von Balkeninschriften in der Schäferei erzählen. Die habe ich heute erst entdeckt. Über der alten Scheune, die jetzt der Schafstall ist. Allerdings konnte ich nichts mehr erkennen, so verwittert waren die Buchstaben.«
»Mir ist da nie was aufgefallen«, sagte Laura nachdenklich. Als Kind war sie zwar von ihrer Großmutter ab und zu für irgendeine Erledigung zur Schäferei geschickt worden, hatte aber ansonsten einen großen Bogen um diesen Hof gemacht. Die frei laufenden ausgewachsenen Truthähne mit ihren halb nackten, mageren Hälsen, den roten Kehllappen und den schlappen Kämmen waren ein gar zu gruseliger Anblick, und ihre kollernden Laute klangen – zumindest für Kinderohren – ziemlich bedrohlich. Unter diesen Umständen hatte Laura nicht auf die Gebäudeverzierungen geachtet, damals nicht und bei den seltenen späteren Besuchen als Erwachsene auch nicht. Hm. So, wie Walter es beschrieb, würde sie mit großen Kontrastwerten und einem guten Objektiv arbeiten müssen. Und auf keinen Fall durfte sie das Stativ wieder vergessen.
Walter ahnte, was Laura durch den Kopf ging und schmunzelte. »Die ganze Schäferei würde ein lohnendes Ziel für ein Fotovorhaben abgeben«, fuhr er fort. »Wenn sich die Aufregung um den Hund etwas gelegt hat, könnten wir gemeinsam hochgehen und Rudolf Boll fragen, ob du fotografieren darfst.
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