Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
der Scheune der Schäferei in Waldau kamen ein verfallenes Gehöft in Schwiesau und zwei Gebäude in Wiepke hinzu.
Alles keine besonderen Lagen. Und alles keine Häuser, in denen Reichtümer zu erwarten gewesen wären. Warum hatten Diebe diese Gebäude markiert?
Die Farbverwitterungen, und vor allem die Botschaften der Zinken selbst deuten darauf hin, dass sich die Markierungen schon einige Zeit an den Häusern befanden. Alte Leute wohnen in der Schäferei nämlich schon lange nicht mehr. Laura könnte Tante Irmgard fragen, wann genau die Eltern der Bolls verstorben waren. Ihrer eigenen Erinnerung nach war das mehr als zehn Jahre her. Auch beim Pfarrhaus stimmte die Diebesnachricht nicht mehr. Ein Mann wohnte dort schon jahrelang nicht mehr im Haus. Tante Irmgard würde sicher auch noch wissen, wann der letzte Sohn der Zabel ausgezogen war. Sie kannte sich in den Waldauer Familiengeschichten bestens aus.
Ob die Nachrichten an den anderen Häusern auch so unzutreffend waren? Und ähnlich alt? Laura würde Walters Hilfe benötigen, um das herauszufinden. Doch der war immer noch nicht wieder aufgetaucht.
~ 42 ~
Judith Brunner wartete auf die Männer, die sie zum Überfall auf Mirow vernehmen wollte. Die Zeit bis dahin überbrückte sie mit allerlei Routinearbeiten. Zuerst sichtete sie die Dienstpost. Anschließend führte sie ein kurzes Gespräch mit der Staatsanwältin. Dann erst war sie bereit für das Unausweichliche und rief ihren Vorgesetzten in Magdeburg an.
Karl-Horst Stein hatte ihr mehrere Notizen mit entsprechenden Rückrufbefehlen in die Hand gedrückt, die er durchnummeriert und ab dem dritten mit entsprechend vielen Ausrufezeichen versehen hatte.
Als dieses Telefonat – erfreulich kurz und ohne die üblichen Ermahnungen – erledigt war, schrieb sie den Vermerk zum Gespräch mit Ingo Grille und gab sich erneut der Hoffnung hin, den Wachtmeister bald loszuwerden.
Nun hatte sie sogar noch Zeit und sah sich den neuesten Bericht an, der auf ihrem Schreibtisch gelandet war. Demnach waren gestern den ganzen Tag lang Polizisten mit Fotos vom Schlauchstück unterwegs gewesen. Judith Brunner las aufmerksam zu den »Ermittlungen über die Herkunft des bei der Leiche gefundenen Gummischlauches« . Unterzeichnet hatte ihn Karsten Windisch, der junge Bereitschaftspolizist, der Ilona Eichner gefunden hatte. »In allen in der Umgebung befindlichen Tankstellen, Werkstätten und einschlägigen Geschäften, insgesamt 17, wurde ein solcher Schlauch nicht entwendet. Manche machten darauf aufmerksam, dass ein solcher Schlauch vor Jahrzehnten für die Zuführung von reinem Sauerstoff benutzt worden sein könnte. Eine Werkstatt verfügte noch über einen ähnlich alten Schlauch, aber mit viel stärkerer Wandung, der für Pressluft genommen wurde. Der bei der Leiche gefundene Schlauch kann also nicht für Pressluft gewesen sein. Ein Monteur der hiesigen Gaswerke erklärte mir außerdem, dass das keinesfalls ein Gasschlauch sei. Er gab aber zu bedenken, dass das ein Schlauch von einer alten Bierleitung sein könnte. Auf jeden Fall werden heute solche Schläuche nicht mehr genutzt.« Dann hatte Windisch noch seine handschriftliche Liste mit den Adressen angefügt, säuberlich mit einem Haken hinter jedem Namen. Er hatte sie akribisch abgearbeitet.
Nun gut. Sie suchten also einen sehr alten Schlauch. Auf dem Lande. Judith Brunners Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die berühmte Nadel im Heuhaufen war sicher einfacher zu finden.
Allerdings kam ihr in Bezug auf diesen engagierten, jungen Polizisten eine Idee. Schließlich wurde bei ihr demnächst eine Stelle frei.
Es klopfte an den Türrahmen und Lisa erschien grüßend. »Ich habe da was entdeckt. Hätten Sie einen Moment Zeit?«, bat sie.
»Sicher.« Judith Brunner sah auf. »Meine Güte, Lisa. Ihr Kleid ist ja umwerfend!« Anerkennend schmunzelte sie über die Selbstverständlichkeit, mit der Lisa wieder einmal ein raffiniert geschnittenes Kleid in dieser tristen Umgebung einer Polizeidienststelle trug.
Lisa drehte sich stolz einmal um die eigene Achse. »Am Wochenende hatte ich endlich alle Knöpfe angenäht. Sehen Sie mal, alles echtes Perlmutt! Die hatte meine Großmutter schon an einer Bluse.«
Judith stand auf und bestaunte ehrfurchtsvoll Lisas Schneiderkünste. Das rund ausgeschnittene, eng anliegende Oberteil war bis zur Taille mit diesen wunderschön schimmernden Knöpfen zu schließen. Der knielange Rock umschloss schmal die Hüften und schwang
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