Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
polizeilichen Befragungen haben, vielleicht können wir das ausnutzen.« Ihr war eine Idee gekommen und sie beantwortete Dr. Gredes Ausgangsfrage: »Ich halte Manfred Peuker für sehr verdächtig. Hören wir uns an, was er zu sagen hat. Aber dieses Mal probieren wir was anderes.«
Der Mann im Vernehmungsraum wirkte nicht mehr kindlich, aber auch noch nicht richtig erwachsen. Manfred Peuker sah Judith Brunner mit unbekümmerter Miene an und stand höflich auf, als sie allein eintrat und ihn begrüßte. Er war groß; seine langen Arme und Beine ließen ihn etwas ungelenk wirken. Er war von Natur aus eher hager, doch unter seinem T-Shirt zeichneten sich kräftige Muskeln ab. In ein paar Jahren würde sein Gesicht womöglich einmal die markanten Züge eines energischen Mannes annehmen. Er gehörte bestimmt nicht zu den jungen Männern, denen die Mädchenherzen zuflogen; als erwachsener Mann hingegen dürfte Manfred Peuker den Frauen gefallen.
Judith Brunner stellte sich vor und bat ihren »Zeugen«, sich wieder zu setzen. Sie nahm ihm gegenüber Platz. Dann legte sie eine neue Tonbandkassette in den Rekorder und schaltete das Gerät ein.
Still sitzend hörte Manfred Peuker zu, wie sie Datum und Uhrzeit sowie die anwesenden Personen benannte.
Dann ging es los. Judith Brunner erinnerte Peuker an sein Gespräch mit Walter Dreyer. »Mein Mitarbeiter war am Sonntag bei Ihnen. Sie haben ihm vom Besuch bei Ihrer Großmutter in Engersen erzählt, am Sonnabend. Und von ihrem Heimweg am Nachmittag. Erinnern Sie sich?«
Peuker nickte kurz, bewegte sich ansonsten kaum.
»Inzwischen haben Sie sicher gehört, was passiert ist.«
»Das tote Mädchen. Alle erzählen davon.«
»Wir ermitteln angestrengt in diesem Fall und ich leite diese Ermittlungen«, teilte Judith Brunner dann mit. Sie wusste, dass Wiederholung eine bewährte Methode war, um die Geschichten von Zeugen zu überprüfen. »Deswegen brauche ich genaue Informationen. Würden Sie bitte auch mir noch einmal schildern, wie Ihr Sonnabend verlaufen ist?«
Peuker zögerte kein bisschen. »Ich besuche regelmäßig meine Oma. Sie ist die Mutter meines Vaters und wohnt in Engersen. Meine Familie wohnt in Jemmeritz. Das ist nicht weit und ich nehme immer das Fahrrad, wenn ich zur Oma will.«
Judith Brunner ließ sich nicht anmerken, dass diese Sätze in ihren Ohren seltsam klangen, eher wie geschrieben und nicht wie gesprochen. Sie fragte weiter: »Am Sonnabend also auch?«
»Ja.«
»Wann waren Sie denn unterwegs?«
»Ich wollte zum Mittagessen da sein. Oma kocht immer was Leckeres. Extra für mich. Beim Essen haben wir uns dann ein bisschen was von der Woche erzählt, was so los war. Meine Oma hatte ein neues Kaninchen für uns. Das sollte ich abholen. Mutter hat mir dafür eine kleine Holzkiste mitgegeben. Oma hat dann am Nachmittag Kaffee gekocht und wir haben gemütlich Kuchen gegessen. Dann bin ich wieder los. Spätestens zum Abendbrot sollte ich wieder zu Hause sein, da ist meine Mutter ein bisschen eigen.«
Er erzählte den Ablauf flüssig und fehlerfrei. Judith hatte angenommen, die von Walter notierte Aussage sei dem Stil der polizeilichen Protokollprosa geschuldet gewesen, doch offenbar drückte Manfred Peuker sich tatsächlich so aus. Sie überflog das erste Protokoll. Tatsächlich tauchten einige Formulierungen dort bereits wortwörtlich so auf. Sie probierte es weiter.
»Wie spät war es, als Sie in Engersen losfuhren?«
»Kurz nach vier.«
Judith Brunner notierte den Zeitrahmen langsam und deutlich auf ihrem Schreibblock: vier Uhr fünf bis vier Uhr fünfzehn. Damit sollte ihr Gegenüber glauben, dass genau diese Information von besonderem Interesse war. Dann sah sie wieder auf. »Sie haben auch ausgesagt, einen Mann getroffen zu haben.«
Wieder nickte Peuker, nur kurz, und schwieg dann regungslos.
»Könnten Sie mir diesen Mann noch einmal beschreiben?«
Peuker schilderte seine Beobachtungen präzise, anschaulich, bis hin zum Seitenscheitel des Fußgängers und benannte sogar wieder die Hosenträger.
»Und dann sahen Sie, wie dieser Mann hinter einem Baum am Straßengraben verschwand?«
»Ja.«
»Gut.« Wieder notierte Judith Brunner überdeutlich langsam diese Bemerkung.
Im nächsten Moment betrat Dr. Grede das Zimmer. »Ich bitte, meine Verspätung zu entschuldigen. Ich konnte nicht eher weg«, begründete er sein verabredetes Zuspätkommen.
»Das ist mein Stellvertreter, Dr. Hans Grede«, stellte Judith Brunner vor. »Er würde sicher
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