Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
Brunner kannte offenbar nur die Arbeit; von einem Mann war nie die Rede. Wahrscheinlich traute sich keiner ran, denn an ihrem Aussehen konnte es nicht liegen. Von ihrem Privatleben erzählte sie eh nichts. Hatte sie überhaupt eins? Und dann sein alter Kumpel, Walter Dreyer. Der kam mit seiner Archivarin seit Jahren keinen Schritt voran und schien noch nicht einmal unglücklich darüber zu sein. Einzig Lisa war die Ausnahme in der Liebeslotterie, dabei stellte ihr Kerl ja nun wirklich keinen Hauptgewinn dar. Vorbestrafter Friedhofsverwalter! Aber offenbar hatte der es drauf. Jedenfalls kam Lisa manchmal mit einem inneren Strahlen zur Arbeit, bei dem er das Weite suchen musste, um nicht auf irgendetwas einzuschlagen.
Ritter rief sich zur Ordnung. Mann, er war zum Arbeiten hier! Was war nur mit ihm los?
Seine Arbeit erforderte höchste Konzentration und nach mehreren Anläufen hatte er jetzt Gewissheit. Nur … er konnte kaum glauben, was er herausgefunden hatte!
Er lief zu Judith Brunners Büro.
Niemand da.
»Lisa, wo ist die Chefin?«, fragte er über den Gang.
»In einer Vernehmung, hinten.«
»Hol sie raus. Ich muss mit ihr reden.«
Lisa war nicht wohl dabei. »Das habe ich eben schon mal gemacht. Ich weiß nicht, ob …« Doch als Lisa in Ritters aufgeregtes Gesicht blickte, stand sie auf. »… ihr das gefallen wird«, murmelte sie vor sich hin und wollte gerade ihr Büro verlassen.
Ein Türgeräusch war zu hören.
Ritter sah den Gang entlang. »Ah, da ist sie ja«, war er erleichtert. Er gab ihr unauffällig ein Winkzeichen.
Judith Brunner sah Grede kurz hinterher, der Heppner zum Ausgang geleitete, und kam dann auf ihre Mitarbeiter zu. »Dieser Typ war’s nicht. Aber er hat mit seiner Aussage zwei Leute schwer belastet: Rudolf Boll und Otto Molitz. Einen haben wir schon hier, den anderen holen wir uns noch. Dr. Grede organisiert das gleich. Ich schaffe es heute nicht mehr, beide zu vernehmen. Wir müssen noch mit diesem Peuker reden. Aber zu einer Nacht unter unserem Dach verhelfe ich diesen Feiglingen gern. Lisa, hätten Sie einen Kaffee für mich? Ich brauche mal zehn Minuten Pause.«
Ritter räusperte sich, offensichtlich hatte sie sein Handzeichen übersehen. »Pause geht nicht, Chefin. Wissen Sie, ich habe da eben was rausgefunden.«
»Na, dann bitte Kaffee für alle, Lisa.« Judith Brunner öffnete ihre Bürotür.
»Das Seil um Mirows Hals, Sie wissen schon«, wieder machte er eine kleine Pause, um seiner Behauptung genügend Gewicht zu verleihen, »dieses Seil gleicht dem, welches um die Schnauze des Hundes gebunden worden war! Bis ins kleinste Detail!«
»Ach!«
Ritter legte, quasi als Beweis, Fotos stark vergrößerter Seilstücke auf den Tisch. »Material, Dicke, Alter, alles stimmt. Das Seil war schon mächtig morsch, wie ich heute früh schon sagte. Da konnte man sich mit einem kräftigen Ruck einfach ein Stück abreißen. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen. Es ist dasselbe Seil!«
~ 46 ~
Bevor sie Manfred Peuker vernehmen würden, hatten Judith Brunner und Dr. Grede sich nochmals die Niederschrift von Walter Dreyers Gespräch mit dem jungen Mann durchgelesen. Den Personalien war zu entnehmen, dass er volljährig und nicht vorbestraft war, bald seine Lehre in Klötze bei der Sparkasse abschließen würde und mit seiner Mutter sowie einer Schwester in Jemmeritz wohnte.
»Wie verdächtig ist der Mann?«, wollte Grede von ihr wissen.
»Nun, er ist unser einziger Verdächtiger – von seinem geheimnisvollen Fußgänger, den er überholt haben will und der sich dann in die Büsche verdrückt haben soll, mal abgesehen. Da hat Lisa uns einen entscheidenden Hinweis geliefert. Peuker hat also als Einziger den Mörder gesehen, oder er lügt. Ich will erst einmal herausfinden, was wahrscheinlicher ist. Dann sehen wir weiter.«
»Ich hoffe, dass er uns alles plausibel erklären kann. Doch wenn wir ihn beim Lügen erwischen, dann hat er was zu verbergen. Mein Gott! Er ist fast noch ein Kind.« Hans Grede sprach seine Befürchtungen offen aus.
»Das bedeutet leider nicht, dass er nicht fähig wäre, Ilona Eichner auf grausame Weise zu ermorden. Achtzehn ist sogar ein Alter, in dem er bereits eine gewisse Karriere hinter sich haben könnte.«
»Ich weiß, ich weiß«, winkte Grede ab. »Aber davon hätten wir schon mal was mitbekommen, oder?«
Judith Brunner hob unbestimmt die Schultern. »Einen Vorteil hat seine Jugend: Er wird nicht viel Erfahrungen mit
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