Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
am schlimmsten. Sie hat immer gehofft, dass eines Tages jemand kommt und uns alle mitnimmt, als Familie. Na ja, wir drei Jungs haben sie beschützt, so gut wir konnten. Tanja war schon immer meine Traumfrau und kaum waren wir achtzehn und aus dem Heim raus, haben wir geheiratet.«
»Und was haben die Fischers mit Mirow zu schaffen?«
Grambows Ton nahm eine bittere Färbung an. »Wir sind Heimkinder. Wir wissen, wie es sich anfühlt, Außenseiter zu sein. Fußabtreter für Leute, die glauben, was Besseres zu sein, nur weil sie von Eltern beschützt wurden. Als Kind versteht man das natürlich noch nicht. Kurz und gut, Sebastian und Gabriel hatten, genau wie ich, schon immer ein wachsames Auge auf Lothar Mirow. Jemand musste sich ja um die Schwachen kümmern. Deswegen bin ich ja auch so wütend auf mich. Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen.«
Judith Brunner hatte den Brüdern diese Art von Verantwortung nicht zugetraut. Sie hatte Gabriel und Sebastian Fischer unterschätzt, das musste sie sich eingestehen. Allerdings freute sie ihr Irrtum. Und sie mahnte Grambow erneut: »Hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen. Das meine ich ernst. Sie sind für das, was mit Lothar Mirow passiert ist, nicht verantwortlich.«
Nach diesen Worten öffnete sie die Krankenzimmertür und zog sachte Grambow am Ärmel mit hinein.
Da sie nun einmal im Krankenhaus war, beschloss Judith Brunner, bei Dr. Renz vorbeizusehen, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Außerdem hoffte sie, nicht ganz uneigennützig, auf einen guten Kaffee eingeladen zu werden.
Auf dem Weg zu ihm begegnete sie zunächst Dr. Heiner Frederich im Erdgeschoss. Der ärztliche Direktor kam ausgesprochen freundlich auf sie zu.
Sie begrüßten sich.
»Wie kommen Sie voran?«, war er an ihren Ermittlungen interessiert.
»Gestern haben wir endlich was erreicht. Die Männer, die Ihren Patienten zusammengeschlagen haben, konnte ich schon dingfest machen, und auch für den Mädchenmord habe ich einen Verdächtigen. Danke nochmals für Ihre Unterstützung.« Judith wusste es aufrichtig zu schätzen, dass Dr. Renz hier im Krankenhaus ab und zu auch für die Polizei arbeiten durfte. Da Judith Brunner aber um dieses wertvolle Arrangement immer etwas bangte, versuchte sie sich mit allen Verantwortlichen gut zu stellen. Dann wechselte sie abrupt das Thema. »Mirow hatte eben interessanten Besuch. Ich will nicht unbedingt sagen, in Leder und Motorenöl gewandet, aber dennoch vor selbstbewusster Männlichkeit strotzend«, hoffte sie, ihre Neugier bezüglich der Verbindung der Biker zu diesem eloquenten Arzt befriedigt zu bekommen. »Die ganze Schwesternschaft schien außer sich geraten.«
Verstehend blitzten die Augen von Dr. Frederich humorvoll auf. »Ach, die beiden!« Der Klang seiner Stimme ließ seine Zuneigung erkennen. »Nun, ich bin ja nicht als ärztlicher Direktor auf die Welt gekommen. Schon während des Studiums im Praktikum und später als junger Arzt habe ich das Kinderheim in Langenberge quasi mit betreut. Kinderkrankheiten, Routineuntersuchungen, Sportverletzungen.« Dann lächelte Dr. Frederich fast zärtlich: »Die beiden Fischer-Bengel waren von, hm, wie soll ich mich ausdrücken, von einigem Temperament. Sie hatten es faustdick hinter den Ohren. Wenn es ihre Schwester betraf oder eines der kleineren Kinder, verstanden sie keinen Spaß. Jeder, der Schwächeren etwas antat, bekam ihre Meinung unmissverständlich zu spüren. Ohne Zögern. Da gab es schon mal die eine oder andere heftige Prügelei, bis hin zu Knochenbrüchen und Gehirnerschütterungen. Doch niemals, nicht ein einziges Mal, haben die beiden jemanden verpetzt oder sich selbst beschwert. Sie haben die Dinge auf ihre Weise geklärt.« Dr. Frederich hielt inne, um dann abschließend zu bemerken: »Um es kurz zu machen: Wenn Gabriel oder Sebastian Fischer heute irgendein, sagen wir mal ... gesundheitliches Problem haben, dann bin ich immer noch der bevorzugte Arzt ihrer Wahl.«
Judith Brunner hatte den Eindruck, ungelegen zu kommen. Das hatte man von unangemeldeten Besuchen!
Dr. Renz, der sie am Eingang zur Pathologie in Empfang nahm, fasste sich jedoch rasch. »Verzeihen Sie, ich bin nur etwas ungehalten. Das ist selbstredend nicht Ihre Schuld. Im Gegenteil, Sie sind eine willkommene Abwechslung. Doch diese beiden Studenten da«, wies er mit dem Kopf in einen der Arbeitsräume hinter einer Glaswand, »die bringen mich zur Verzweiflung. Jeden Tag Theater!« Mit ungewohnt ärgerlichem Blick
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