Nachtpfade
nochmals.
»Der Anton, wie fand der das?«
»Scheiße.«
»Aha, aber das hat er dem Miesbacher nie gesagt?«
»Der Miaschbacher hot ihm versprocha, dass de
Nachtjagd a omolige Sach gwesa isch. Der hot an Freind vo Südafrika doghabt.
Des ham se bloß zur Gaudi gmacht.«
Schöne Unterhaltung, das war wirklich eine Welt, die
Gerhard bisher gänzlich unbekannt gewesen war. Auch da hatte ihn Hajo
eingeweiht und eingewiesen. Er hatte ihm Bilder aufgezwungen, die Gerhard
eigentlich gar nicht hatte sehen wollen. Fotos von Gämsen mit zerschossenen
Kiefern, die in ihrem Blut lagen. Hajo hatte ihm erklärt, dass es Jäger gebe,
die den Tieren direkt auf den Kopf schössen. »Kein Blattschuss, das Fleisch
lässt sich dann besser verkaufen«, hatte Hajo berichtet. Von Männern war die Rede,
die die Ricken einfach wegschössen, obwohl sie noch Kitze hatten. In diesem
speziellen Fall hatten andere Jäger den Mann überführen können, denn das alles
warf ein böses Bild auf die Jägerschaft. »Wir haben sowieso mit ziemlichen
Vorurteilen zu kämpfen«, hatte Hajo gesagt und dass nicht alle Jäger solche
»Saubeitl« seien. Aber wie überall auf der Welt seien es die Dramen, die
schlechten Nachrichten, die Aufreger, die im Gedächtnis blieben, hatte Hajo
gemeint.
Gerhard versuchte den Faden wiederzufinden. »Und
sonst, bis auf diesen jagdlichen Ausrutscher, war der Anton zufrieden?«
»Mei, ma sagt, der Miaschbacher hot zviel gschossn.«
»Heißt es?«
»Ja, hoasts, aber i kos it gwies song.«
»Und im Nachbarrevier, da müssen die Umtriebe des
Miesbachers doch aufgefallen sein, oder?«
»Mei.«
Mei, mei, mei – damit ließen sich offenbar ganze
Lebenssituationen bewältigen, und Gerhard hatte keinerlei Zweifel, dass der
Weinling da wirklich nicht mehr wusste. »Und sagen Sie, die Jacky war auch
dabei?«
»Ja, bei dr Nachtjagd.«
»Ja und? Himmel, Weinling, machen Sie das Maul auf!«
»Ja, gflennt hots wegs de Viecher, de wos gschossn
ham. Wies halt do gflackt sin. Abghaut isch se.«
»Abgehauen?«
»Ja, davogloffa halt. Dr Toni hots no gsucht.«
»Und?«
»Am nächsten Tag war se wieder in Schönberg.«
Am nächsten Tag war sie wieder in Schönberg … Vom
Hohen Trauchberg wahrscheinlich den ganzen Weg gelaufen. Verfolgt von den
Bildern in ihrem Kopf. Gerhard spürte einen Kloß in seinem Hals. Er wollte sich
gar nicht vorstellen, wie das alles auf Jacky gewirkt haben musste. Tote Tiere
vor ihren Augen. Tiere, die keine Chance gehabt hatten, ihren Häschern zu
entkommen. Tiere, getötet einzig zum Vergnügen eines Geschäftskumpans. Da
mochte ihm Jo zwar vorgeworfen haben, Tiere sagten ihm nichts, aber hier ging
es um mehr. Nicht um die Seelenprozesse neurotischer Haustierbesitzer, hier
ging es darum, was Recht war und Gerechtigkeit. Mehr noch, was Moral war. Es
ging um einen Wertekodex, einen Sinn dafür, dass alle Kreaturen ein Recht auf
Leben hatten. Auf Würde. Wer Tiere quälte, war nicht weit davon weg, auch
Kinder zu quälen. Wem solch ein Wertekodex fehlte, war ein Sadist. Gerhard
hätte diesen Miesbacher bereits jetzt und aus der Ferne am liebsten erwürgt und
wusste doch auch, dass er sich als Letzter solche Gefühle erlauben durfte. Weil
sie sein Urteilvermögen trübten. Er musste sich wappnen für den Tag, an dem er
diesem Mann Aug in Aug gegenüberstehen würde.
»Kann es sein, dass er die Jacky nachher nochmals
gesehen hat?«, fragte er nun weiter.
Weinling schaute ihn mit großen Augen an. Die
Botschaft schien sich durch seine Hirnwindungen zu kämpfen. »Sie moana, der hot
de Jacky weggroamt? Wenn der dem Mädla was do hot, dann dreh i m d Kraga um. So
a herglaufene Geldsau. Die Jacky is ned ganz rundgloffa, aber es war scho oane
von uns.«
Die Vernehmung von Anton Erhard hatte was von einer
Unterhaltung mit einem Hackstock. Es bedurfte eines Künstlers, vielleicht eines
Hypnotiseurs oder eines Zauberers, diesen seltsamen Menschenschlag zwischen
Lech und Ammergebirge, zwischen Bajuwaren-Derbheit und Alemannen-Verdrucktheit
zum Reden zu bringen. Schließlich gab er zu, ein bisschen was mit dem Holz zu
türken – »ein bisschen« war angesichts der Dimensionen des Deals natürlich eine
sehr starke Untertreibung. Bei der Frage, was Jacky denn von ihm gewollte
hatte, hatte er auch nach Stunden immer wieder gesagt, sie habe ihn unter Druck
gesetzt, dass sie bleiben wolle und dass er das seiner Schwester zu verklickern
habe. Dass sie sonst der Polizei erzählen würde, was hier im Wald so vor
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