Nachtpfade
sich
gehe.
»Na prima, Herr Erhard, und da haben Sie das Mädchen
umgebracht, damit es das Maul hält. Geben Sie das doch einfach zu, Sie ersparen
uns allen viel Zeit.« Stur wie ein Ochse und wortkarg, wie er war, hatte er
jede Attacke mit seinem »Schmarrn« beantwortet. Das konnte er allerdings in
allen möglichen Tonlagen modulieren, und am Ende hatte er wie ein höchst
unwirscher Grizzly geklungen, den jemand aus dem Winterschlaf aufgeschreckt
hatte. Er sei im Bett gewesen, seine Zeugin sei seine Schwester. Diese Aussage
hatten sie ja bereits einmal gehört.
Gerhard kam auch auf die Nachtjagd zu sprechen, und da
zumindest war der brummige Anton nachgerade gesprächig.
»Dem hob i gseht, dass des ned geaht. Dann nimmt ma n
halt de Jagd weg. I hob eam gseht, dass i eam ozoag.« Wieso die Jacky da dabei
gewesen war, das konnte Anton Erhard schlüssig erklären. Sie hätte ein paarmal
in der Hütte aufgeräumt, die Spuren der waidmännischen Gelage beseitigt und
dafür vom Miesbacher auch stets ein fürstliches Geld bekommen. Und an jenem
Abend wären eben so viele Gäste da gewesen, dass der Miesbacher eine Hilfe zum
Servieren gebraucht hatte. Die arme Jacky hatte keine Ahnung gehabt, was ihr da
drohte, und Gerhard war versucht, auch Erhard zu glauben, dass der davon keine
Ahnung gehabt hatte. Was er wohl gewusst hatte, war, dass der schießwütige
Miesbacher den Abschussplan mehr als eifrig erfüllt hatte. Er hatte zu viel
geschossen, und von Hajo wusste er, dass dann Wild aus den Nachbarrevieren
herüberwechselte.
»Und was haben die im Nachbarrevier dazu gesagt?«
»Deane war des ganz recht. Deane war des z astrengend,
do so in de Berg zum Rumsteige.«
Diese Aussage kam Gerhard wegen seines Crashkurs im
Waldwesen sehr logisch vor. Denn Hajo hatte ihm erklärt, dass es oft vorkam,
dass bei zu hohem Abschuss das Wild herüberwechselte. Wenn im Nachbarrevier
einer tätig war, der seine Abschusspläne eh nie erfüllt hätte, wenn das so ein
Prestigejäger war, der sich eben eine Jagd gepachtet hatte, um zu protzen, dann
war der wahrscheinlich froh. »Wirklich schießen wollen solche gar nicht«, hatte
Hajo gelacht, »wir nennen die Auch-Jäger, denen geht’s nur um die strahlende
Größe vor ihren Freunden.« Und so war ja allen geholfen, wie im Falle des
Miesbachers, dachte Gerhard.
»Und wie war das, als Jacky weggelaufen ist?«, fragte
er weiter.
»Ja mei, gwoant hots, und i bi ihr nach.«
»Und?«
»I hob se nimma gfunda.«
»Und am nächsten Tag war sie wieder da?«
»Ja, se hot auf Middag gkocht.«
»Ja und?«, fragte Gerhard.
»Was, und?«, brummte Erhard.
»Na, sie muss doch völlig verzweifelt gewesen sein und
fertig nach diesem Gewaltmarsch.«
»Man hot ihr nix okennt.«
Gerhard war sprachlos. Für den Moment wich alle
Energie aus seinem Körper. Als würde ihn eine fremde Macht anzapfen und ihm in
Sekundenschnelle alle Kraft entziehen. Er hatte das Gefühl, als würde er
gleichsam schrumpfen. Es gelang ihm irgendwie, wieder so viel Mumm
zusammenzukratzen, dass er weiterfragen konnte: ob denn der Miesbacher etwas
mit Jacky gehabt hätte. Diese Frage veranlasste Anton Erhard doch immerhin
statt des »Schmarrn« zu einem »Des hät eam ned gut do«. Eine gewisse
Solidarität mit Jacky war auch ihm wohl nicht abzusprechen.
»Mei, des war a Sau, aber er war spendabel«, sagte der
Anton dann plötzlich ungefragt.
»Ja?« Gerhard spürte, dass da etwas in dem
Erhard-Anton brodelte.
»Ja, er hot ihr exschtra de zwoahundert Euro für den
Obnd brocht. A paar Tag später.«
»Wann?«
»Am Menda. Am Oamnd, mir ham scho Brotzeit gmacht. Mir
ham der Jacky noch geschrien, dass se kimmt. Se war wahrscheins im Stall. Der
Miasbacher isch dann gfahra. I hob sein Karra no ghert. Wenn se im Karra mit
dringhockt isch …«
»Erhard, ich hatte Sie schon mal nach einem
Geländewagen gefragt. Himmel, warum haben Sie mir das damals nicht gesagt?«
»Ja, Sie ham gseht, dass de Jacky z Soia ausgstiega
isch. Des hob i ned gseng. Also hob i dozu nix gseht.«
»Erhard! Das war der Abend, bevor sie ermordet wurde.
Wieso haben Sie uns das nicht gesagt?«
»Sie ham des so ned gfrogt.«
Als Erhard draußen war und Gerhard einen Kollegen
gebeten hatte, ihn ins Nebenzimmer zu begleiten, stand er auf, ging zum Fenster
und sah hinaus. Es war, als würde er durch einen Schmierfilm blicken, er sah
etwas und wusste doch nicht, was es war. Sein Gehirn versagte seinen Dienst; es
weigerte sich, Informationen zu
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