Nachtpfade
hätte der kegelnde Himmelpapa eine Dusche voll aufgedreht.
Blitz und Donner waren fast zeitgleich, es tat einen gewaltigen Schlag, es
musste also irgendwo ganz in der Nähe eingeschlagen haben. Bald darauf ging
eine Sirene, Gerhard lauschte und hörte doch nur das Prasseln des Regens.
Sarahs schwarzer Kater kam von irgendwoher angeschossen, klatschnass und
sichtlich beleidigt, dass ihm der Fehler unterlaufen war, nicht rechtzeitig
nach Haus gekommen zu sein. Gerhard öffnete ihm die Tür – wohl wissend, dass
das klatschnasse Vieh nun in sein Bett springen würde. Ihn fröstelte auf
einmal, mit dem Regen war die Temperatur um bestimmt fünfzehn Grad gesunken.
Das Grummeln schwoll langsam wieder. Die Blitze hatten sich in die Berge
zurückgezogen, in jene alpine Hexenküche, aus der die Gewitter auch kamen: urplötzlich und unberechenbar. Als Gerhard zu Bett ging, lag da der Kater und
hatte bereits einige Grashalme und drei kleine Schnecken aus seinem Pelz
gepopelt und diesen ganzen Unrat säuberlich neben das Kopfkissen gelegt.
Gerhard versuchte erst gar nicht, den schwarzen Teufel zu vertreiben, und unter
dem monotonen Geräusch der sich putzenden Katze schlief er ein.
Als er erwachte, war der Kater weg, sein Bettüberzug
sah aus, als hätte er damit den Boden geputzt. Gerhard seufzte und sah hinaus.
Es regnete noch immer, der Wind pfiff böig ums Haus. Er zog sich an und fuhr
nach Peißenberg, er hätte das gestern einfach kategorisch ablehnen sollen. Aber
er fuhr doch.
Kapitel 7
»Wie überall, so waren auch hier die
Männer besonders verwahrlost und verwest.«
Hölderlin, Hyperion
Das fehlte wirklich noch: Sich einen windigen,
regnerischen und kalten Herbsttag lang die Füße in den Bauch zu stehen, einzig,
um Pferde und Kutschen anzuschauen. Dicke Pferde, die für ihn alle gleich
aussahen. Und noch schlimmer: Menschen, die auch alle gleich aussahen: rotwangige Bauernschädel, eingefleischte Trachtler, die sich »Lustiges
Alpenrösl« oder »Trachtenerhaltungsverein d Wuiderer« nennen. Kerndlgfuaderte
Madeln mit viel Holz vor der Hüttn und einem Fuchsschwanz um die Schultern.
Pferde wie Menschen waren Bauerntrampel. Definitiv: Gerhard hasste so was, aber
Kassandra und Evi hatten drauf bestanden, hinzugehen, weil Jo doch mit von der Partie
war. Kassandra war klammheimlich wieder aufgetaucht aus Freiburg. Er hatte erst
durch Evi erfahren, dass sie wieder da war. Dass dieser blödsinnige Ausflug
geplant war. Die Damen hatten das beschlossen. Die Begrüßung an diesem windigen
Morgen war kurz ausgefallen. Er wollte Kassandra umarmen, und sie hatte ihn auf
beide Wangen geküsst und eine Armlänge auf Abstand gehalten. Er hätte sie gerne
gefragt, wie es bei ihrer Schwester gewesen war, er hätte sie gerne vieles
gefragt, aber Kassandra war in ein Gespräch mit Evi vertieft, und sie
schilderte gerade, wie toll das doch heute Morgen gewesen sei, die Pferde zu
putzen und herzurichten für ihren großen Auftritt. Verdammt, was hatte
Kassandra damit zu tun? Jo, okay, Jo und ihre Horde kleiner Mädels, die ihre
Töchter hätten sein können, die alle schon seit Tagen im Leonhardirausch waren.
Aber Kassandra hatte mit Pferden eigentlich nichts am Hut.
Leonhardi, was für ein Blödsinn, und dann war dieser
heilige Leonhard auch noch irrtümlich aufs Pferd gekommen. Er war eigentlich
ein Gefangenenschutzpatron. Versehentlich wurden die Ketten zu seinen Füßen für
Viehketten gehalten, eigentlich waren es Ketten armer Gefangener gewesen. Aber
der gute Leonhard ließ sich auch für die Rösser einnehmen, und so verbrachte das
halbe Oberland Wochen vor den Umritten damit, Girlanden aus Weißtanne zu
binden, Gestecke zu zaubern und Geschirre und Sättel zu polieren. Jo hatte ihre
Pferde gestern alle extra noch gewaschen, hatte Kassandra berichtet, und wenn
er noch einmal was vom Schwoafflechten und von Mähnengummis hörte, würde er
sich an einem solchen Gummi erhängen. Jawohl!
Eigentlich hätte Jo ja mit den Einzelreitern irgendwo
ganz am Ende des Zuges reiten müssen, aber sie hatte einen Kutscher bezirzt,
dass ihre Gruppe mittendrin war. Eine große Ehre, denn ihre Norweger und
Isländer galten bei den Hardcore-Trachtlern als »Flugameisen«, und Rassen, die
keine Süddeutschen Kaltblüter waren, durften eigentlich maximal hinten beim
»Gschwerl« mitreiten. Und selbst die Haflinger veranlassten die wirklich
eingeschworene Kaltblutgemeinde auch nur zu einem abgedroschenen Standardwitz: »Frage: Was sind zwei
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