Nachtpfade
ist Ihnen
wohl auch entfallen, dass Sie Jacky Paulig ermordet haben?«
Der Pressesprecher schrak auf. »Was, Mord?«
»Mein Bester, da Sie ja wohl gerne den Kopf für Ihren
Chef hinhalten, dann tun Sie das doch sicher nicht nur bei kleinen fiesen
Bestechungen. Dann nehmen Sie doch auch gerne und bereitwillig die Schuld bei
Mord auf sich, oder?«, fragte Gerhard süffisant.
»Also Moment mal, das können Sie mir aber nicht
anhängen. Wer ist denn Jacky Paulig? Überhaupt, ich will einen Anwalt!« Auf
Gretschmanns Stirn stand der Schweiß.
»Ja, den werden Sie auch brauchen.« Gerhard wusste,
dass das, was er jetzt tat, nicht nett war, aber der Zweck heiligte die Mittel.
»Einen neuen Job werden Sie wohl auch brauchen, Ihr Chef mag kein schwaches
Niederwild. Das haben Sie sicher schon öfter von ihm gehört. Ach, und hat Ihnen
schon mal jemand gesagt, dass Ihnen diese Brille zu Ihrer mageren Visage gar
nicht steht?«
Evi war nahe dran, ihn zurechtzuweisen, das spürte er.
Reitmair war eher amüsiert. Aber der Schachzug hatte funktioniert, Thomas
Gretschmann fiel in sich zusammen. Auch er zog gleichsam den Kopf ein, wie es
alle Mitarbeiter der Friedl Bau taten. Er war diese ständigen Angriffe offenbar
gewohnt, er war zermürbt. Gerhard hatte das ausgenutzt. Und dann begann
Gretschmann zu singen: vom Chef, der berichtet hatte, er müsse einen gewissen
Weinling ein wenig zurechtweisen. Er erzählte vom Auftrag, Neuner zu schmieren.
Er stammelte und flehte, er war den Tränen nahe, als er immer wieder
versicherte, mit Jacky Paulig nichts zu tun gehabt zu haben, sie gar nicht zu
kennen. Er war noch nie auf einer der Jagden gewesen, die Jagd war allein dem
Chef und dessen illustren Gästen vorbehalten, und zu diesem Kreis zählten
Mitarbeiter wahrlich nicht. Wieso ausgerechnet Neuner aus der Schar der
Schönberger ausgewählt worden war, dafür hatte der Pressesprecher keine
Erklärung. Er war aber zunehmend nervöser geworden, je öfter der Name Weinling
fiel, je öfter er ihn aussprechen musste. Mehr hatte er nicht zu sagen. Evi
hatte die bescheidene Frage gestellt, warum er einen solchen Auftrag nicht
abgelehnt hatte, weil das ja wohl kaum zum Aufgabengebiet eines Pressesprechers
gehörte und zudem kriminell war. Sein »Meinem Chef widerspricht man nicht«
hallte in ihren Ohren noch nach, als er abgeführt wurde. Sie überließen den
Mann Reitmairs Kollegen und setzten sich ins Konferenzzimmer, der Chef des
Hauses wurde nämlich jede Minute zurückerwartet.
Die Sekretärin hatte Kaffee und Tee gebracht, und Evi
warf etwas Kandiszucker in ihren ostfriesischen Frühstückstee. »Das ist alles
so bizarr. Aber was ich am wenigsten verstehe, Friedl muss doch damit rechnen,
dass das rauskommt, oder?«
»Ja und nein«, sagte Gerhard. »Nein, wenn sich kein so
schwerer Unfall ereignet hätte und Weinling wirklich nur ein wenig erschrocken
wäre. Ich gehe mal davon aus, Friedl hätte irgendwann mal angerufen oder ihn
sonst wie kontaktiert und durchblicken lassen, dass er das gewesen sei mit dem
Wagen. Um seine Macht zu demonstrieren, auch um Weinling klarzumachen, dass ein
weiterer Lapsus ihn in eine schlimmere Lage bringen würde. Das war sein Plan A,
der Alphaplan eines Alphatierchens. Er hat aber sicher einen Plan B
einkalkuliert, wenn der Fall so liegt wie momentan. Er hat noch was in petto,
da bin ich sicher.«
»Aber warum tut er so was? Der Mann muss doch
Wichtigeres zu tun haben?«
»Diese Frage stelle ich mir auch schon die ganze Zeit.
Aber so wie ich ihn in unserem Gespräch erlebt habe, glaubt Ferdinand Friedl
wirklich daran, dass er ein großer Wohltäter ist. Und wenn das jemand nicht
begreift und nicht wirklich dankbar ist, dann scheint ihm jedes Mittel recht.
Dann ist er quasi auf der Jagd. Und ein bisschen scheint er da seine
Intelligenz auszublenden.«
»Ja, aber das ist doch unglaublich riskant«, meinte
Evi.
»Ja, Evi, du mit der reinen Seele. Genau deshalb macht
er so was.«
»Bitte? Was soll das heißen?«
»Ich glaube, auch das gehört bei ihm mit zur Jagd. Er
ist nicht nur Jäger, er ist auch ein Spieler, er sucht das Risiko. Ja, er
zockt, er zockt auch um Existenzen und um Menschenleben.«
»Bedeuten sie ihm nichts?«, fragte Evi.
»Oh doch, ich glaube sogar, dass er Freunde hat, sogar
echte, er verträgt es nur nicht, wenn man sich seinem Gönnertum als unwürdig
erweist. Er ist so was von ehrpieselig, dass ich fast davon ausgehe, dass er
etwas übertüncht mit dieser Härte.« Gerhard
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