Nachtpfade
er hatte wahrscheinlich
gegen alle etwas in der Hand. Er besaß sicher Dossiers über jeden und konnte an
den Strippen ziehen, wie er nur wollte. Gerhard fragte sich, warum die Leute
bei so einer Firma nicht sofort wieder kündigten. Aber Friedl zahlte gut, und
in den Zeiten von akutem Jobmangel ließ der Einzelne wohl viel an Erniedrigung
zu. Friedl war eine Sau, aber brillant in seinen Schachzügen. Gerhard klatschte
in die Hände. »Eine perfekte Vorstellung, wirklich großartig. Aber nun steht
Aussage gegen Aussage, Herr Friedl!«
Der Anwalt mischte sich ein und verwies darauf, dass
sein Mandant nichts mehr zu sagen habe. Er fügte noch hinzu, dass sie beide
natürlich bereit seien, dem Recht Genüge zu tun. Friedl hatte sich erhoben. Er
sagte, dass er sich auf den Prozess, sollte es zu einem solchen kommen,
wirklich freuen würde. Sein Blick streifte Gerhard. Der hatte den Satz diesmal
verloren, aber er hatte immer noch das Spiel im Auge. Gerhard wusste, dass es
für eine Verhaftung nicht ausreichte, kein Staatsanwalt würde einen Haftbefehl
unterzeichnen, und Gefahr war auch keine im Verzug. Diese Angelegenheit würde
den zähen Weg nehmen: Anzeige, Gegenanzeige, wahrscheinlich ein Prozess, dessen
Ausgang sehr ungewiss war.
Die beiden Herren waren hinausgerauscht, die drei
Polizisten gingen langsam hinterher. Gerhard bat Reitmair, das arme Bauernopfer
Gretschmann unbedingt darauf hinzuweisen, dass er einen sehr guten Anwalt
benötigen würde. Einen verdammt guten!
»Ich glaub, ich brauch ‘nen Schnaps.« Evi war wie
paralysiert.
Evi und ein Schnaps, das hieß was. Reitmair jedenfalls
nahm den Wunsch wörtlich und schlug vor, ins Weißbräustüberl am Marktplatz zu
gehen. Da war es rauchig und eng, Evi trank wirklich einen Obstler, Gerhard
blieb beim Hopf.
»Damit wird der Friedl doch wohl nicht durchkommen!«
Das war fast ein Verzweiflungsschrei, den Evi auf einmal ausstieß.
Reitmair zuckte die Schultern und sagte dann: »Ferdinand Friedl wird den Gretschmann schon irgendwie schmieren, dass der die
Schuld auf sich nimmt. Darauf würde ich fast wetten.«
»Ich auch«, sagte Gerhard düster.
Friedl war nicht beizukommen. Weder bei der
Kutschensauerei noch beim Mord an Jacky. Und das wog weit schwerer. Hatte nicht
der Weinling mal gesagt, der »Miaschbacher« würde sich nie selbst die Finger
schmutzig machen? Nein, dazu hatte er Watschmandl wie den Gretschmann. Was,
wenn auch jemand anderer den Mord verübt hatte? Aber wer? Sieben Stunden lang
war Jacky einfach wie vom Erdboden verschwunden gewesen. Es war so was von
frustrierend, und das Schlimmste war, dass Friedl einen diebischen Spaß an
seinen perfiden Spielchen hatte.
Sie fuhren zurück nach Weilheim, diesmal ohne
Blaulicht. Evi fuhr nicht schnell, einige Autos überholten sie, ein blauer Bus
blieb hinter ihnen. Wahrscheinlich wieder so ein Touri, für den achtzig
Stundenkilometer schon fast Schallgeschwindigkeit waren, dachte Gerhard. Evi
setzte ihn zu Hause ab, und nachdem er geduscht hatte und sich trotz des
Kalt-Warm-Wechsels so gar keine Energie und kein Mumm in seinen Knochen
einstellen wollten, ging er zum Kühlschrank. Das Dachs war auch aus! Warum er
wieder losfuhr, konnte er gar nicht so genau sagen, es war ein rastloses
motorisiertes Umhertigern. Er fuhr die übliche gesperrte Abkürzung durch den
Hahnenbühl, aber die schien ja jeder zu benutzen, es kamen ihm vier Autos
entgegen, ein blaues Auto fuhr hinter ihm. Gerhard überlegte in Peißenberg
kurz, ob er bei Toni einkehren sollte, aber irgendetwas trieb ihn den Böbinger
Berg hinauf. In der Ortsmitte hatte er plötzlich eine Idee. Er rief in der
Pippi-Langstrumpf- WG an und
fragte, ob er aus der Post eine Pizza mitbringen solle. Klar, er war die ganze
Zeit auf dem Weg nach Echelsbach gewesen, zu Kassandra oder Jo – oder beiden.
Sein Vorschlag wurde akzeptiert. Kalt war es auf einmal geworden, man konnte
den Atem sehen, und die Luft roch nach Schnee, der Winter war nun endgültig auf
dem Sprung. Er betrat die warme Gaststube, und während er auf eine Vegetaria,
eine Quattro Formaggi und eine Capricciosa wartete, trank er ein leichtes
Weißbier. Zwei Typen kamen herein, die sich an den Nebentisch setzten und
schweigend Cola tranken, sie sahen aus wie zwei südosteuropäische Lkw-Fahrer,
die noch einen weiten Weg vor sich hatten. Gerhards Pizzen kamen, er zahlte und
überlegte noch kurz, ob er über Schönberg oder Rottenbuch fahren sollte.
Es wurde Schönberg, einfach wegen der
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