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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Aussicht,
obgleich es dämmerte. Er war gerade in Höhe des aussichtsreichen Parkplatzes,
als ein blauer Bus ihn halsbrecherisch überholte.
    »Ja, so ein Depp«, fluchte Gerhard, weil er stark
bremsen musste. Er schickte ein »Scheiße« hinterher, weil die Pizzen in den
Fußraum abgestürzt waren. Eine Sekunde lang war Gerhards Blick zur Seite
gerichtet. Als er wieder zur Straße sah, hatte sich der Bus quer gestellt.
Gerhard trat in die Eisen. Zum Fluchen kam er nicht mehr, weil ein maskierter
Mann seine Tür aufriss und ihm eine Knarre unter die Nase hielt. Von der
Beifahrerseite her kam ein weiterer, der ihm etwas auf die Nase presste. Die
Pizza musste komplett im Eimer sein, dachte Gerhard noch. Ihm wurde plötzlich
sehr warm, so als wäre sein Blut heiße Lava, die durch seine Adern floss. Dann
verließ ihn das Bewusstsein.

Kapitel 9
    »Ich habe den Schmerz ertragen
    gelernt, aber für solch ein Scheiden
    hab ich keine Kraft in mir.«
    Hölderlin, Hyperion
    Als er wieder zu sich kam, war es finster. Gerhard
fühlte sich benommen. Irgendwie juckte es in der Nase. Er wollte sich kratzen,
aber er konnte seinen Arm nicht bewegen. Er probierte den anderen. Fehlanzeige.
Auch seine Füße waren starr. Gerhard wusste, wie es sich anfühlte, wenn man
gefesselt war. Man konnte irgendetwas zumindest um Zentimeter bewegen. Er
hingegen war wie gelähmt. Da war nicht mal ein Millimeter Bewegungsspielraum.
    Panik durchflutete ihn. Er rief sich zur Ruhe. Dann
versuchte er den Kopf zu bewegen, das ging. Er presste sein Kinn nach unten und
spürte das Raue seines Pullovers. Er atmete tief aus und ein und merkte, dass
sich sein Brustkorb hob und senkte. Und er realisierte, dass er ab der Taille
gar nichts mehr spürte. Der Nebel wich, er konnte nun auch Konturen erkennen.
Balken ragten wie Skelette in einen Himmel, der schwach erleuchtet war durch
einen fahlen Mond. Er erkannte einen Betonmischer, andere Baugerätschaften: Da
lehnte eine Leiter, da war ein Rüttelbrett, dort lag ein Presslufthammer. Und
dann sah er an sich herunter. Er hockte in einem Bottich, und er war wie
einzementiert. Sie hatten ihn ab der Taille in etwas eingegossen, und das war
fest wie Stein.
    Er schrie, ein Urschrei, und dann kam die Angst. Echte
Angst, nackte Angst, eine, die er so noch nie empfunden hatte. Er war durchaus
schon öfter in Gefahr geraten, aber das waren stümperhafte Attacken gewesen,
dumme Versuche, ihn von einer Ermittlung abzuhalten. Selbst als er einmal in
einer brennenden Almhütte eingeschlossen gewesen war, hatte er keine Sekunde an
seiner Rettung gezweifelt. Da war ein Urvertrauen gewesen, eine Sicherheit, die
er aus sich selbst gezogen hatte. Echte, elementare Angst hatte er bis zum
heutigen Tage nicht gekannt.
    Nun war sie da. Ein großes schwarzes Ungetüm, das ihn
erdrückte. Wie diese Substanz um ihn herum, die wahrscheinlich nach und nach
weiterbinden und ihn immer stärker einschnüren würde. Er würde sterben. Elend
verrecken. Er hatte mal gehört, dass Beton das Blut nach oben presste, dass es
gar nicht nötig war, einen Menschen bis zum Hals einzubetonieren, um ihn zu
töten. Er glaubte sich zu erinnern, dass der Druck die Lunge zerstörte. Es
reichte vollauf, wenn nur die Beine im Beton steckten. Diese Methode war nur
ungleich grausamer. Sie dauerte länger. War das Beton, in dem er steckte?
Hätten Sie ihn doch besser gleich ganz einbetoniert.
    Er schrie: »Hilfe! Hallo! Ist da jemand!«, das ganze
Repertoire der Verzweiflung brüllte er hinaus. Gerhard horchte in die
Dunkelheit, nichts. Es war so still, so totenstill. Und es war kalt, eisig war
es. Er begann wieder zu schreien, was seine Lungen nun mit einem Hustenanfall
quittierten. War es schon so weit? Ging es schon los, das lange Sterben?
Gerhard versuchte ruhig zu atmen. Er zählte auf zehn, atmete wieder tief und
gleichmäßig. Keine Panik, keine Panik, flüsterte er sich ein. Er musste
nachdenken. Denken bewahrte davor, verrückt zu werden. Wie spät konnte es nun
sein? Vielleicht eins. Wo war er hier gefangen? Der Stille nach zu urteilen
sicher in keiner urbanen Gegend. Auch in keinem Dorf, denn irgendein Geräusch
gab es immer. Das Klirren von Kuhketten, Katzengeschrei, ein spätes Auto …
    Und wie er sich nochmals umsah, war es plötzlich da –
das Erkennen. Das war die Maschinenhalle von Manfred Weinling. Weinling! Hatte
er ihm so zugesetzt, dass der ihn nun in Beton gießen wollte? Nein und nochmals
nein, das war dem Weinling nun wirklich nicht

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