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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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der Fernsehserie verpasst. Dabei interessierten sie nicht die Geschichten, sondern das Schiff. Sie konnte sich nicht sattsehen, wenn jemand im Pool planschte, übers Deck joggte oder auf der Sonnenterrasse die Aussicht aufs Meer genoss. Sie überlegte, welches Kleid sie zum Captains-Dinner anziehen würde, und doch war es nie dazu gekommen, dass sie wirklich gebucht hatten.
    Immer im letzten Moment bekam sie Bedenken.
    »Ich bin zu alt für eine Schiffsreise«, hatte sie bereits vor zehn Jahren zu Matthias gesagt, und er hatte überlegt, warum sie so einen Unfug erzählte. »Stell dir vor, ich werde seekrank und liege dann tagelang in meiner Kabine und möchte sterben. Das kann man ja alles nicht wissen. Und wenn man wirklich ernsthaft krank wird? Dann ist man gerade irgendwo am Ende der Welt. Und ich bin mir nicht sicher, ob man in dieser kleinen Krankenstation auch vernünftig operiert werden kann.«
    »Man kann«, hatte Matthias ihre Zweifel zu zerstreuen versucht. »Meines Wissens haben sie dort schon einen Blind darm rausgenommen. Natürlich werden sie keine Herzen ver pflanzen, aber ich würde mal sagen, es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Schließlich bist du für dein Alter noch topfit.«
    »Noch, ja. Jedenfalls einigermaßen. Aber es ist wackelig, auf einem Schiff herumzulaufen.«
    »Die haben Stabilisatoren. Das wackelt kaum. Da musst du schon Pech haben und einen Sturm erwischen.«
    Henriette überhörte die Bemerkung. »Wie leicht kann man da auf diesen engen Treppen stürzen! Dann hat man einen Oberschenkelhalsbruch, und was dann?«
    »Mama, warum siehst du eigentlich immer so schwarz? Noch kannst du reisen und dir diesen Traum erfüllen, also lass es uns in Angriff nehmen!«
    Aber auch wenn Henriette ihre Ängste zeitweilig hinunterschluckte, war dann doch immer etwas dazwischengekommen. Wenn Matthias Zeit hatte, gefiel ihr die Reiseroute nicht, und umgekehrt. Und schließlich blieb die Kreuzfahrt ein lang gehegter, aber unerfüllter Wunsch.
    Den hatte er ihr nun erfüllt.
    Der Flug von Berlin nach Frankfurt und von dort nach Funchal auf Madeira klappte problemlos, die Fluggesellschaft bemühte sich rührend um die alte Dame im Rollstuhl, die auch im Flugzeug ihren Hut nicht absetzte und sich standhaft weigerte, irgendetwas zu essen oder zu trinken.
    Auf Madeira bestiegen sie das Schiff. Matthias hatte extra eine Atlantiküberquerung gebucht. Er vermutete stark, dass es seiner Mutter nicht darauf ankam, im Rollstuhl durch irgendwelche exotischen Städte und Landschaften gekarrt zu werden – ihr ging es einzig und allein um das Erlebnis Schiff. Und das sollte sie haben.
    Auch die fürchterliche Tatjana war im Grunde ein Segen. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen, denn sie kümmerte sich stumm und ergeben um alle täglichen und unangenehmen Dinge, die die Pflege seiner Mutter mit sich brachte. Darüber hinaus musste er Tatjana einfach übersehen. Das war das Einfachste.
    Matthias war glücklich und wurde für alles entschädigt, wenn seine Mutter lachte, weil Delfine neben dem Schiff herschwammen und aus dem Wasser sprangen, wenn sie »wie schön!« sagte, während die glutrote Abendsonne am Horizont im Meer versank, oder wenn sie mit Appetit aß, weil beim Abendmenü eine seltene Spezialität serviert wurde.
    Sie war dabei, zu ihm zurückzukehren.
    Die Lido-Bar war um diese Zeit nur mäßig besucht. Es gab nicht allzu viele Leute, die es sich mit ihrer Figur leisten konnten, neben den üppigen Hauptmahlzeiten am Nachmittag auch noch Kaffee und Kuchen zu verspeisen.
    Matthias setzte sich, bestellte ein Glas Champagner und ließ vollkommen entspannt den sonnigen Nachmittag auf sich wirken. Sie hatten noch viereinhalb Tage auf hoher See vor sich. Ein wunderbares Gefühl. Er war ein Gefangener der unendlichen Weite, konnte nicht weg, nichts erledigen und nichts verpassen. Urlaub pur.
    Er sah sich um. In der Bar saßen drei ältere Ehepaare, zwei alleinreisende Frauen, höchstwahrscheinlich Witwen, die ihren Schmuck spazieren führten, und ein attraktiver, sportlicher Mann, der den Kuchen ignorierte, nur einen schwarzen Kaffee trank und in einer medizinischen Fachzeitschrift blätterte. So viel konnte Matthias erkennen.
    Dieser Mann, der also offensichtlich Arzt war und den er auf Mitte dreißig schätzte, war ihm schon beim Frühstück aufgefallen, da er nur Obst aß. Vorzugsweise Ananas. Er hatte gepflegte Umgangsformen und rückte seiner Frau immer den Stuhl zurecht, bevor sie sich

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