Nachtprinzessin
Ballen Stoff und einer Nähmaschine.
All das stapelte sie im Wohnzimmer, schob den Sessel vors Fenster, ließ sich hineinfallen und strahlte.
»Wunderbar, wir machen es uns richtig gemütlich«, schnurrte sie. »Das bisschen Zeug krieg ich hier leicht unter. Du hast ja genug Platz!«
Matthias bekam Zustände. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt. Wenn er etwas überhaupt nicht vertragen konnte, dann waren es Unordnung und Chaos um ihn herum.
»Du spinnst!«, schrie er. »Wo ist denn hier Platz? Wo soll denn dieser ganze Krempel hin? Und was hast du dir eigentlich dabei gedacht, hier mit Stoffballen anzutanzen?! Du musst doch vollkommen verrückt sein!«
Thilda blieb ganz ruhig. Mit einer derartigen Reaktion hatte sie gerechnet, denn so, wie sie Matthias einschätzte, hatte er wahrscheinlich geglaubt, sie käme mit leichtem Reisegepäck, einem Nachthemd, einer Zahnbürste und einem guten Buch. Ihm war anscheinend immer noch nicht klar, dass sie vom heutigen Tag an zusammenwohnten. Und für einen kompletten Umzug war es erschreckend wenig, was hier im Zimmer stand.
»Du hast deine Arbeit, ich meine«, entgegnete sie mit einem eingefrorenen Lächeln im Gesicht. »Ich weiß zwar nicht genau, was du im Moment machst, aber ich denke mal, du brauchst einen Schreibtisch. Ich brauche eine Ecke, am besten ein separates Zimmer zum Nähen. Und die Stoffe sind mein Material. Ohne Material kann ich nicht üben, nichts kreieren, nichts erfinden, nichts entwerfen, nichts fertigstellen. Das ist doch wohl logisch. Und mit dickem Bauch kann ich nicht viel rumturnen, aber ich kann nähen und werde nicht trübsinnig vor lauter Langeweile.«
Matthias schwieg und stellte sich vor, wie es in seiner Wohnung aussehen würde, wenn jetzt auch noch haufenweise Spielzeug herumlag, vor dem Fernseher ein Laufstall, neben der Stereoanlage ein Berg von Kuscheltieren, im Schlafzimmer ein Babybett und eine Wickelkommode – entsetzlich! Sein Leben war bereits jetzt, bevor es richtig begonnen hatte, eine einzige Katastrophe.
Er hatte diese Wohnung immer geliebt. Vier Zimmer, Küche, Bad und ein großer Balkon zum Garten hin, den man schon fast als Terrasse bezeichnen konnte. Er hatte die Wohnung sparsam und hochmodern eingerichtet, spielte beim Design mit klaren Kanten, Geraden, Parallelen und rechten Winkeln, hatte wohldurchdachte Lichtakzente gesetzt, wozu er Wochen gebraucht hatte, und schwelgte in seinen Lieblingsfarben Weiß, Grau und Türkis. Er hatte diese ruhige, klare Wohnung immer als Luxus empfunden, zumal seine Mutter, die im Erdgeschoss wohnte, für Ordnung sorgte und die Putzfrau darauf achtete, dass kein Haar in der Badewanne und kein Krümel auf dem Teppich zu finden waren.
Und jetzt sollten hier Quietscheenten in der Badewanne schwimmen, im Wohnzimmer würde man über Spielzeug stolpern, Thilda würde ihre primitiven Mädchenbilder mit Sonnenuntergängen, Marilyn Monroe und sich umarmenden Nixen aufhängen und dann in ihrem knallroten Sessel rumsitzen und Röcke säumen? Die Farbe des Sessels tat ihm in den Augen weh und löste bei ihm Migräne aus.
Vier Zimmer. Eines fantastischer als das andere. Er hatte sie als Wohnzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer und als Gästezimmer für Freunde genutzt, die hin und wieder bei ihm übernachteten, außerdem stand im Gästezimmer ein Schrank, in dem er seine Winter- oder Sommergarderobe unterbrachte. Je nachdem.
Es war alles perfekt gewesen. Und jetzt gab es gar keinen Platz für Gäste mehr, das Gästezimmer würde sich in ein grellbuntes Kinderzimmer verwandeln, er würde seinen Schreibtisch notgedrungen im Wohnzimmer unterbringen müssen, und Thilda würde ihre verdammten Stoffballen in seinem ehemaligen Arbeitszimmer stapeln.
Wie piefig war das doch alles! Ihm wurde übel, und dass er überhaupt keine Idee hatte, aus dieser Situation wieder herauszukommen, ließ ihn verzweifeln.
Genauso geschah es. Fröhlich vor sich hin summend, richtete sich Thilda häuslich ein und veränderte die Wohnung so radikal, dass Matthias sie kaum wiedererkannte und sich überhaupt nicht mehr wohlfühlte. Es war, als würde er jetzt bei Thilda wohnen und nicht umgekehrt. Zu guter Letzt ließ sie vom Gartenbaucenter riesige schnell wuchernde, rankende und kletternde Topfpflanzen liefern, die jedes noch freie Fleckchen in einen Dschungel verwandelten, und Matthias wunderte sich jedes Mal, wenn er nach Hause kam, dass noch keine Vögel in den Pflanzen nisteten und sich keine Schlangen um die
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