Nachtprinzessin
zwischen den dunklen Bäumen.
Seine Mutter war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich schlief sie längst. Aber er wusste, dass er jetzt unmöglich einschlafen konnte, und ging in die Halle.
Links vor dem großen Portal zum Salon war die Bar. Weit und breit war niemand zu sehen, die letzten Gäste hielten sich alle im Garten auf. Daher nahm er selbst eine Cognacflasche und einen Schwenker aus dem Regal, schenkte sich großzügig ein und begann langsam zu trinken.
Er fühlte sich großartig und redete laut mit sich selbst. Lobte sich über den grünen Klee und blickte mit schwülstigen Worten hoffnungsvoll in die Zukunft.
Um vier Uhr versuchte er die Flasche zuzuschrauben, was ihm aber nicht gelang. Er rutschte vom Barhocker und wollte in sein Zimmer gehen, konnte sich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern, wo es war.
Also legte er sich in einen Sessel und schlief, vollkommen betrunken, aber friedlich wie ein sattes Baby, ein.
14
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September 1984
Zwei Monate dachte er nicht an sie, und er vermisste sie auch nicht. Sie hatte ihn neugierig gemacht auf das Leben, aber sonst kam die Baroness Thilda von Dornwald in seinen Gedanken und in seinem Alltag nicht mehr vor.
Aber dann erreichte Henriette eines Morgens um Viertel nach zehn ein Anruf des Büros derer von Dornwald.
Henriette war noch im Morgenrock und hatte ein ungutes Gefühl, als sie die unterkühlte Stimme der Sekretärin hörte.
»Ich würde Sie gern mit der Freifrau Ingeborg von Dornwald verbinden.«
»Ja, bitte.« Henriette ärgerte sich, dass sie nervös wurde.
»Meine Liebe, ich grüße Sie!«, begann Thildas Mutter. »Geht es Ihnen gut?
»Ja, doch. Danke der Nachfrage.« Henriette fühlte sich äußerst unbehaglich. Sie roch das drohende Unheil geradezu.
»Verzeihen Sie, wenn ich mich gar nicht groß mit langen Vorreden aufhalte und gleich in medias res gehe, aber die Angelegenheit, die ich mit Ihnen besprechen möchte, brennt mir unter den Nägeln.«
»Bitte, schießen Sie los«, unterbrach Henriette sie, und ihr ungutes Gefühl wurde noch stärker.
»Meine Tochter Thilda ist schwanger, und Ihr Sohn Matthias ist der Übeltäter.«
Sie sagte »Übeltäter«, nicht »Vater«, sie sagte auch nicht »Sie ist schwanger von Ihrem Sohn Matthias«, nein, sie wertete bereits, zog es in den Dreck, und Henriette spürte, wie der Zorn in ihr aufstieg.
»Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, erwiderte sie schlicht, und dieser Satz entsprach durchaus der Wahrheit. Sich ihren Sohn mit einer Frau im Bett vorzustellen war ihr völlig unmöglich. Wenn sie sich zu derartigen Gedanken zwang, ekelte und schüttelte sie sich, es war schlicht widerlich. Und jetzt behauptete die Freifrau von Dornwald solche unvorstellbaren Dinge.
Ingeborg antwortete spöttisch, als hätte sie Henriettes Gedanken erraten. »Vielleicht können Sie es sich nicht vorstellen, aber es ist die Wahrheit. Die beiden hatten Kontakt – wenn ich es mal so banal ausdrücken darf – auf dem Fest von Burg Lunden. Für meine Tochter war es das erste Mal, wahrscheinlich hatten beide keine Erfahrung, jedenfalls ist es passiert. Wir waren vor drei Tagen beim Arzt. Sie ist im dritten Monat.«
Henriette war so schockiert, hilflos und mit den Nerven fertig, dass sie kurz davor war, einen hysterischen Lachkrampf zu bekommen, aber sie riss sich zusammen, um sich vor der arroganten Zicke keine Blöße zu geben, und sagte so ruhig wie möglich: »Vielleicht sollten wir uns alle zusammensetzen, um genau zu überlegen, was jetzt zu tun ist.«
»Nein. Das wäre genau das Verkehrte, und darum habe ich Sie auch angerufen. Die Entscheidung fällt jetzt. Während dieses Telefonats. Im Grunde habe ich sie schon getroffen, denn schließlich handelt es sich um meine Tochter, sie ist die Hauptbetroffene. Sie muss und sie wird dieses Kind zur Welt bringen, da gibt es keine Diskussion und kein Vertun. Aber bevor es so weit ist, werden die beiden heiraten. So schnell wie möglich. Die ganze Angelegenheit ist nur aus der Welt zu schaffen, wenn sie legalisiert wird. Letztendlich weiß in ein paar Jahren niemand mehr, ob das Kind neun oder sechs Monate nach der Hochzeit zur Welt gekommen ist. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Natürlich.« Mein Gott, was für eine raffinierte Frage. Sie war so gestellt, dass sich Henriette bei der Beantwortung automatisch dämlich vorkommen musste. Rhetorisch war ihr Ingeborg von Dornwald um Längen voraus, sie musste sich vorsehen.
»Wie schön.«
»Sind die Kinder
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