Nachtprinzessin
Stämme ringelten.
Für ihn war es die Hölle, und er sah der Geburt des Kindes mit Entsetzen entgegen.
Thilda saß in ihrem roten Sessel, nähte Gardinen mit rosafarbenen Flamingos in grünem Schilf und strickte Babysachen. Sie bestellte eine kitschige Wiege beim Otto-Versand und wurde immer runder. Nicht nur ihr Bauch wuchs, was Matthias normal gefunden hätte, sondern sie schien wie eine Puppe, die man aufpusten konnte, überall aus dem Leim zu gehen. Ihr ehemals schmales Gesicht wurde vollmondartig, ihre Knöchel verloren jede Form und verwandelten sich in Elefantenstampfer.
»Geh zum Arzt!«, sagte Matthias, der sie abstoßend fand. »Du siehst aus wie eine prallvolle Wärmflasche, das kann nicht gesund sein!«
»Blödsinn«, erwiderte Thilda, »so ist das nun mal, wenn man schwanger ist. Das Kind will schwimmen, darum speichert der Körper Wasser. Ganz einfach. Hinterher ist das alles wieder weg.«
Gut, dachte Matthias, du weißt ja immer alles besser, aber ich hab’s zumindest versucht. Und er ertappte sich dabei, dass es ihm als optimale Lösung erschien, wenn Thilda und das Kind bei der Geburt wegen irgendwelcher Komplikationen auf der Strecke bleiben würden. Dann wäre alles wie vorher und alles wieder gut.
Er forderte sie nie wieder auf, zum Arzt zu gehen.
16
16
November 1984
Als die Tage dunkler und die Nächte kühler wurden, begann das Gezeter.
Seit Tagen lag Thilda beinah bewegungslos auf der Couch, die Beine hoch, und schwitzte. Wenn sich Matthias blicken ließ, verlangte sie nach Getränken, Zeitschriften, dem Telefon oder der Fernbedienung des Fernsehers. Sie rührte sich kaum noch, da sie ein ständiges Ziehen im Unterbauch verspürte und von der fixen Idee besessen war, dass sich Blutungen einstellen würden, sollte sie sich wieder in die Vertikale begeben und ein paar Schritte durch die Wohnung machen.
Wenn es irgendwie möglich war, flüchtete Matthias, gammelte in Cafés und Kaufhäusern herum und träumte von einem Leben im Luxus, das immer unerreichbarer wurde.
Und damit machte er alles nur noch schlimmer.
»Wo kommst du her?«, schrie sie, wenn er die Wohnungstür aufschloss, aber sie erwartete gar keine Antwort mehr, da er kaum noch ein Wort mit ihr sprach. »Hast du wenigstens etwas eingekauft? Der Kühlschrank ist leer, Matthias, wir haben nichts mehr, wir haben auch keinen Pfennig Bargeld mehr im Haus. Bis zur Geburt müssen wir noch so viel anschaffen, wir müssen die Autoversicherung bezahlen, aber wir sind total pleite, wir haben weniger als der ärmste Schlucker auf der Straße.«
»Du spinnst«, sagte er nur.
»Es ist schon erniedrigend genug, dass wir bei deiner Mutter wohnen und uns von ihr aushalten lassen, aber jetzt müssen wir bei ihr sogar noch um Geld betteln: Bitte, Henriette, hast du mal hundert Mark? Ich will einkaufen gehen … Könntest du mir mal fünfzig Mark leihen, ich muss unbedingt tanken … Das ist so erbärmlich, Matthias, das hab ich mir so nicht vorgestellt!«
»Pump doch deine Eltern an!«, meinte Matthias lächelnd. »Sie werden sicher ihrem lieben Töchterlein von Herzen gern mal unter die Arme greifen. Und ein kleiner Kredit oder eine freundliche Schenkung wären doch nicht verkehrt! Vielleicht denken sie einfach nicht daran, und man muss sie nur daran erinnern, dass ihre Tochter mit der Heirat in der Gosse gelandet ist! Na los? Mach schon!« Damit warf er ihr das Telefon auf den Bauch.
Thilda war ganz weiß im Gesicht und keifte nicht mehr, sondern sprach ganz ruhig und gefährlich leise.
»Wie wär’s, wenn du mal ein bisschen was verdienst, mein Lieber? Ich kann nicht arbeiten, ich kann mich in meinem Zustand nicht mehr bewegen, und ich will das Baby nicht gefährden. Aber du könntest dir locker irgendwo ’nen Job suchen. Aber nein! Dazu ist sich der hohe Herr ja zu fein und zu schade! Du könntest dir ja die Hände schmutzig machen! Und das wäre ja eine Katastrophe für Matthias von Steinfeld!«
Irgendwo hatte sie recht, das spürte er ganz genau. Und er wusste, dass auch seine Mutter von ihm erwartete, dass er sich Arbeit suchte. Aber er wollte sich weder von Thilda noch von seiner Mutter zwingen oder herumkommandieren lassen, und vor allem wollte er nicht ständig das Opferlamm sein.
Er hatte sie geschwängert. Schön. Er war naiv und unerfahren gewesen. Okay. Das war alles nicht mehr zu ändern. Aber musste er zur Strafe dafür sein Leben lang ihre Launen und Vorwürfe ertragen? Das sah er gar nicht ein, und darum stellte
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