Nachtprinzessin
Teddybären, die keiner Fliege etwas zuleide taten. Matthias vermutete, dass Hersfeld nicht so leutselig war, wie er sich gab, sondern eher ein unglaublich ausgebuffter Geschäftsmann, der Naivität zur Schau stellte und sein Gegenüber sorglos werden ließ.
Ihm fiel ein, dass er heute noch nichts gegessen hatte. Dennoch verspürte er keinen Hunger, sondern fühlte sich im Gegenteil schwer und behäbig. Als hätte er in den letzten vierundzwanzig Stunden zwanzig Kilo zugenommen. Das ist der Frust über Alex, überlegte er, er wird immer größer und wächst in mir wie ein Krebsgeschwür. Mama und Alex. Die beiden Stützpfeiler seines Lebens schienen auf einmal gleichzeitig zusammenzubrechen.
Als er über die schmale Landzunge auf die Insel fuhr, schüttete es. Der Scheibenwischer arbeitete auf der höchsten Stufe, so konnten sie unmöglich Haus und Garten besichtigen. Es war zum Verrücktwerden.
Matthias parkte direkt vor dem Eingang des Hauses, der auf der Straßenseite lag und noch relativ bescheiden anmutete. Für Fälle dieser Art hatte er immer zwei Schirme im Auto, die er jetzt öffnete, um Herrn und Frau Hersfeld die wenigen Schritte bis zur Eingangstür zu geleiten.
Matthias lächelte traurig. »Es tut mir so leid, dass wir jetzt mit dem Wetter so ein Pech haben.«
»Dafür können Sie nun wirklich nichts.« Frau Dr. Hersfeld versuchte Haltung zu bewahren, aber sie war so blass, als litte sie unter Unterzuckerung und brauchte dringend eine Praline.
»Wir stehen hier im Grunde vor dem Hintereingang des Hauses, das eigentliche Entree ist vorn, auf der Seeseite. Aber ich würde vorschlagen, wir besichtigen erst einmal das Innere der Villa, vielleicht ändert sich ja das Wetter in der nächsten halben Stunde.«
Dr. Hersfeld nickte das hundertste Mal an diesem Tag.
Matthias schloss die Tür auf und ließ die beiden eintreten.
In den nächsten anderthalb Stunden besichtigte das Ehepaar die pompöse, aber äußerst stilvolle und mit großem Sachverstand und Geschmack renovierte Villa aus den Dreißigerjahren und begutachtete außerordentlich interessiert jedes einzelne Detail. Iris Hersfeld schlug vor Entzücken die Hände vors Gesicht, als sie im Kellergeschoss im Schwimmbad mit angeschlossener Sauna standen.
»Das ist ja alles kaum zu glauben«, murmelte sie.
Petrus hatte ein Einsehen. Als sie wesentlich später auf der Dachterrasse standen und über den Wannsee bis hin zum Grunewaldturm blickten, schien zwar immer noch nicht die Sonne, aber es regnete wenigstens nicht mehr.
Vor dem Haus reichte der parkähnliche Garten bis direkt an den See, ein eigener Bootssteg machte das traumhafte Bild perfekt.
»Nicht schlecht«, meinte Herr Dr. Hersfeld, und diese Schön-schön-Variation machte aus seinem Munde wahrscheinlich schon eine wahre Explosion der Begeisterung aus.
Matthias atmete tief durch. Der erste Schritt war getan. Jetzt brauchte er nur noch ein bisschen Glück.
»Kostenpunkt?«, fragte Dr. Hersfeld.
»Wie ich vorhin schon erwähnte: drei Komma eins Millionen. Leider gibt es nur wenig Verhandlungsspielraum. Der Eigentümer ist auf das Geld nicht angewiesen und daher relativ stur.«
»Verstehe.«
Wieder schien ihn der Preis nicht im Geringsten zu erschüttern.
»Gehen wir hinunter zum See«, sagte er ungewohnt leise und legte den Arm um seine Frau.
20
20
Die Schmerzen wurden gegen Abend immer schlimmer. Er betäubte sich mit Bier, und obwohl er wegen seiner Rippenbrüche kaum atmen konnte, rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Zum Glück hatte er von beidem genug im Haus, sonst hätte er Manne bitten müssen, ihm Nachschub zu besorgen.
Allmählich dämmerte ihm, dass er in den nächsten Tagen allein wohl doch nicht so gut zurechtkommen würde. Und das regte ihn auf.
Um zehn rief er in der Küche an. Sein Souschef Jürgen war am Apparat. Er hatte wie immer eine Saulaune, aber das wunderte Alex nicht. In der Küche eines großen Hotels gab es keinen einzigen Koch, der sich wohlfühlte und während der vierzehn bis sechzehn Stunden Arbeitszeit keine schlechte Laune hatte.
»Wo bleibst du denn, du Arsch?«, polterte Jürgen sofort los, als Alex seinen Namen gesagt hatte. »Seit vierzehn Uhr warten wir hier auf dich, verflucht!«
»Ich war beim Arzt. Bin krankgeschrieben.«
»Das interessiert mich nicht. Nur der Tod entschuldigt.«
»Ich hab mir zwei Rippen gebrochen und ein Bein angeknackst.«
»Wie das denn?«
»Bin die Treppe runtergefallen.«
Drei Sekunden war es still in
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