Nachtprinzessin
frag mich nachher im Büro, wenn ich drei Kaffee getrunken habe, jetzt kann ich nicht denken. Nur abspeichern, nicht interpretieren. Ich habe – wenn’s hoch kommt – drei Stunden geschlafen.«
Susanne grinste. »Was treibst du denn?« Sie zuckte belustigt die Achseln. »Ein Polizist sollte kein Privatleben haben und rund um die Uhr einsetzbar sein.«
Ben fingerte nach seinen Zigaretten und lächelte amüsiert. »Ganz deiner Meinung.«
Er rauchte eine Weile schweigend. Susanne stand neben ihm und blickte still über den See.
»Prinz«, flüsterte Ben. »Das passt zu einem Schwulen. Lass mich dein Prinz sein!«
»Gut. Aber warum Prinze? ›Lass mich dein Prinze sein‹ ist Blödsinn.«
»Stimmt. Wahrscheinlich ging das Wort noch weiter, da, wo die Fußspuren sind.«
»Das glaub ich auch, aber wie hieß das Wort? Fällt dir nichts ein?«
»Prinzessin vielleicht. Lass mich deine Prinzessin sein! Warum denn nicht? Aber ich glaube, ich kann im Präsidium wirklich besser darüber nachdenken.«
Susanne reagierte nicht auf Bens Bemerkung. »Und wir wissen nicht, wer damit gemeint ist und wer hier in den Sand gekritzelt hat. Der Täter oder das Opfer.«
»Ich nehme an, der Täter. Denn wenn das Opfer irgendwas geschrieben hätte, hätte der Täter es garantiert weggewischt. Nein, der Täter wollte sich verewigen und uns ein lustiges kleines Rätsel aufgeben.«
»Wahrscheinlich. Aber das wissen wir alles erst, wenn er noch einmal unterschreibt.«
»Du meinst, wenn er noch einmal mordet.«
Susanne nickte stumm.
»Wissen wir schon, wie das Opfer heißt?«
»Nein. Es hatte keine Papiere dabei, nichts. Für den Mörder kann es perfekter nicht laufen. Ein mit großer Wahrscheinlichkeit zufälliges Opfer und dann noch eins, das wir ewig nicht identifizieren.«
Ben sah sich den Schriftzug im Sand noch einmal genauer an. PRINZE . Weiche, runde Buchstaben. Das N nicht spitz, sondern abgerundet wie ein Torbogen. So, wie man es in der Grundschule übte. Das P groß, hart, dominant und als Druckbuchstabe. Das I nicht mit einem Punkt, sondern einem Kreis. »Die Schrift sieht aus, als hätte es ein Mädchen in der fünften Klasse geschrieben. Das Wort ist nicht geschrieben, sondern gemalt.«
»Der Meinung bin ich auch«, antwortete Susanne und tippte eine Nummer in ihr Handy.
Es war jetzt kurz nach sechs, die Leiche war abtransportiert, die Spurensicherung arbeitete noch, aber für Susanne und Ben gab es am Tatort nichts mehr zu tun.
»Gehen wir frühstücken?«, fragte er. »Du siehst aus, als könntest du was Essbares gut vertragen.«
»Nein, aber lass uns irgendwo ’nen Kaffee trinken, und dann will ich nach Hause. Melanie muss zur Schule, und ich will wenigstens mit ihr frühstücken. Das heißt, den Moment erwischen, wo sie das Haus verlässt. Mehr gemeinsame Zeit haben wir eigentlich nicht.«
»Ja. Das versteh ich.«
»Bringst du mich anschließend nach Hause?«, fragte sie. »Ich bin heute Nacht mit der Spurensicherung mitgefahren und hab kein Auto dabei. Lass mir zwei Stunden, dann komme ich ins Präsidium.«
Er nickte und hielt ihr die Wagentür auf.
Als Susanne zu Hause ankam, saß Melanie quietschfidel in der Küche und aß ein Graubrot mit derart viel Nutella, dass Susanne im ersten Moment dachte: Drei dieser Brote, und das Glas ist leer.
»Hei«, sagte Melanie und grinste mit schokoladenverschmierten Mundwinkeln. »Ich hab gar nicht mitgekriegt, dass du nicht da warst. Was ist passiert?«
»Wieder ein Mord. Wahrscheinlich derselbe Mörder. Das heißt, wir haben einen Serientäter.«
»Geil.« Melanie grinste.
»Wieso geil?«
»Weil so was selten ist. Vielleicht nicht in Amerika, aber in Berlin schon. Und das find ich spannend.«
So kann man es auch sehen, dachte Susanne.
In der Kaffeemaschine stand noch eine lauwarme Pfütze, die sich Susanne eingoss, dann setzte sie sich Melanie gegenüber.
»Alles klar?«
»Alles klar.«
»Du weißt, dass Nutella fett macht?«
»Warum kaufst du’s dann?«
»Weil du süchtig danach bist. Aber wenn du mir sagst, du willst es nicht mehr, lass ich es bleiben.«
»Willst du mir jetzt um diese Zeit Moralpredigten halten oder mich mit diesem ganzen Gesundheitsscheiß volllabern? Da hab ich überhaupt keinen Bock drauf.«
Sie stand auf, raffte Vergrößerungsspiegel, Lippenstift, Lipgloss, Make-up, Puder und Wimperntusche zusammen – offensichtlich hatte sie sich am Küchentisch geschminkt –, schmiss alles in ihre Tasche, die aussah, als würde sie
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