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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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dass die Hitzewelle laut dem Wetterbericht von RAI 1 noch mindestens zwei weitere Wochen andauern sollte. In Rom, wo er vor Jahren noch arbeiten durfte, bevor er wegen permanenter Unfähigkeit zuerst nach Montevarchi und dann in die denkbar kleinste Carabinieri-Station Ambra versetzt wurde, war er bei ähnlichen Hitzewellen stets im klimatisierten Dienstwagen durch die Stadt gebraust und hatte den Motor auch laufen lassen, wenn sie das Haus einer verdächtigen Person stundenlang beobachten mussten. Da war das Leben erträglich und angenehm gewesen. Außerdem fand sich immer eine Bar, in der einen niemand kannte und in der man einen Campari trinken konnte, hier in diesem Nest konnte man nichts, aber auch gar nichts tun, was nicht umgehend und brühwarm von der ganzen Dorfgemeinschaft durchdiskutiert wurde.
    In seinem winzigen, quittegelb gestrichenen Büro in Ambra gab es statt einer Klimaanlage nur einen riesigen Ventilator, der unangenehm brummte, dessen Stufenregulierung kaputt war und der einem mit höchster Geschwindigkeit den ganzen Tag lang die Haare aus dem Gesicht und die Papiere vom Schreibtisch wehte.
    Aber trotz Ventilator klebte ihm die Uniform am Leib, und er fürchtete sich vor dem Moment, Haus und Büro verlassen zu müssen.
    Und dieser Moment war jetzt gekommen.
    Er wünschte die korrekte und stets perfekt gebügelte Uniformjacke und die dazu passende dunkelblaue Hose mit auffälligem rotem Streifen, aus hochwertigem Stoff, fein und dicht gewebt, zum Teufel. Da drang kein Lüftchen durch, er steckte wie in einem Kokon, der die Hitze noch zusätzlich speicherte.
    Donato Neri war davon überzeugt, dass es bei diesen Temperaturen keinen fürchterlicheren Job gab als den des Carabiniere.
    Die Dorfstraße, die hinauf bis zur Piazza führte, lag wie ausgestorben da. Wer nicht unbedingt musste, wagte sich bei dieser Hitze nicht auf die Straße. Neri war erst wenige Sekunden unterwegs, aber der Schweiß lief ihm bereits am Körper hinab und durchnässte seine Uniform von innen. Er hatte Lust, sich alle Klamotten vom Leib zu reißen und nur in Unterhose nach Hause zu laufen, aber das hätte das Ende seiner Karriere auch in Ambra bedeutet.
    Natürlich war auch auf der Piazza um diese Zeit kein Mensch. Die Tür zur Bar stand weit offen, drinnen saßen zwei Männer am Tresen, draußen waren die Tische und Stühle unter den großen weißen Sonnenschirmen leer. Neri überlegte, ob er noch schnell etwas trinken sollte, aber dann entschied er sich, lieber so schnell wie möglich weiter durch die heiße Hölle nach Hause zu laufen, wo er sich ausziehen konnte, als die Quälerei durch ein Getränk in der Bar noch zu verlängern.
    Es war ungewöhnlich still, als er seine Haustür öffnete. Kein Geschirrklappern in der Küche, kein Gezeter von Oma, keine Musik aus Giannis Zimmer. Nichts.
    Irritiert ging er zuerst ins Schlafzimmer, wo er sich aus der Uniform pellte und sich ein leichtes T-Shirt und eine kurze Hose anzog. Anschließend ging er hinunter in die Küche.
    Gabriella saß am Küchentisch und blätterte durch die Werbebroschüre des Supermarktes mit den Sonderangeboten. Als Neri hereinkam, nahm sie nicht die geringste Notiz von ihm, sah noch nicht einmal auf.
    »Was ist los?«, fragte Neri. »Gibt’s heute kein Essen?«
    »Steht alles auf dem Herd. Siehst du doch!«
    »Was ist mit Oma? Mit Gianni? Ist was passiert?«
    »Aber nein, tesoro, es ist alles wunderbar!«
    Neri stöhnte innerlich auf. Diesen liebreizenden, sarkastischen Ton gebrauchte sie immer, wenn sie auf hundertneunzig war, aber er sagte nichts, sondern wartete ab.
    »Was für ein herrlicher Tag!«, säuselte sie. »Die Sonne scheint, es ist Viertel nach eins, das Essen ist fertig, aber dein Sohn schläft noch. Für ihn ist es mitten in der Nacht. Vielleicht kommt er nachmittags um drei oder vier zum Frühstück. Kann sein. Kann auch nicht sein. Und Oma ist vor einer halben Stunde in der Küche aufgetaucht, um mir mitzuteilen, dass sie auf das Abendessen verzichten werde, da der Fraß in diesem Haus ungenießbar sei. Sie ist schon ins Bett gegangen. Für sie ist jetzt schon Abend. Also alles prima. Wir können die Uhr abhängen, Tageszeiten gibt es nicht mehr. Vielleicht möchtest du die Pasta erst heute Abend um zehn?«
    »Nein, ich möchte sie jetzt!«, knurrte Neri. »Das heißt gleich, wenn ich mir Gianni vorgeknöpft habe.«
    Gabriella verdrehte die Augen. An Gianni war bisher jeder gescheitert, jedes Gespräch verlief im Sand, Absprachen waren

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