Nachtprogramm
saß. »Wer war dieses Mädchen?«
Wäre ich mit meinem Vater unterwegs gewesen, hätte ich gelogen und gesagt, es sei eine Freundin, aber meine Mutter wusste, dass ich keine interessanten Freunde hatte, also sagte ich die Wahrheit.
»Du hast ihr nicht einen Dollar gegeben«, sagte sie. »Du hast ihr meinen Dollar gegeben.«
»Aber sie brauchte das Geld.«
»Wofür?«, frage meine Mutter. »Shampoo? Nadel und Faden?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nicht gefragt.«
»Ich weiß nicht. Ich habe nicht gefragt.« Auf billige Art nachgeäfft zu werden, konnte man leicht wegstecken, aber meine Mutter war verdammt gut darin, Leute nachzumachen. Aus ihrem Mund klang ich verhätschelt und hohl, wie eine Perserkatze in der menschlichen Version. »Wenn du ihr einen Dollar geben willst, ist das deine Sache«, sagte sie. »Aber das war mein Dollar, und ich will ihn zurück.«
Ich bot ihr an, ihr den Dollar zu Hause zurückzugeben, aber das genügte ihr nicht. »Ich will nicht irgendeinen Dollar«, sagte sie. »Ich will genau den Dollar.«
Es war lächerlich, irgendeine besondere Bindung zu einem Dollarschein zu behaupten, aber f ür meine Mutter ging es hier ums Prinzip. »Es ist mein Dollar, und ich will ihn wiederhaben.«
Als ich ihr erkl ärte, dazu sei es zu spät, stieg sie aus und öffnete auf mei ner Seite die Wagentür. »Na, das wollen wir doch mal sehen«, sagte sie.
Das Hippiemädchen blickte in unsere Richtung, und ich drückte mich tief in den Sitz. »Mom, bitte. Das kannst du nicht machen.« Es war eine brenzlige Situation, aber ich wusste, sie würde nicht so weit gehen, mich tatsächlich aus dem Wagen zu zerren. »Können wir das nicht anders regeln? Ich geb dir das Geld zurück, sobald wir zu Hause sind, Ehrenwort.«
Sie sah meine geduckte Haltung und stieg wieder an der Fahrerseite ein. »Du glaubst, jeder, der um Geld bittet, hat es auch nötig? Mein Gott, bist du naiv!«
Das Mädchen mit dem Dollar schien einen Trend losgetreten zu haben. Bei meinem nächsten Besuch im Kwik Pik sprach mich ein anderer Hippie an – diesmal war es ein Typ –, der vor der Eismaschine auf dem Boden hockte. Er sah mich kommen und hielt mir seinen Lederhut hin. »Sei gegrüßt, Bruder«, sagte er. »Meinst du, du kannst einem Freund aushelfen?«
Ich gab ihm die fünfzig Cent, von denen ich mir eine Cola und Kartoffelchips hatte kaufen wollen, und lehnte mich nicht weit entfernt an eine Säule, um den Hippie zu beobachten. Einige Leute, die cool waren und nichts abzugeben hatten, ließen es sich nicht nehmen, »tut mir Leid, Mann«, oder, »du weißt ja, wie das ist«, zu sagen. Der Hippie nickte wie bei einer vertrauten Musik, und die coole Person nickte ebenfalls. Die un coolen Leute liefen schnellen Schritts vorbei, aber man sah, dass der Hippie irgendwie eine seltsame Macht auf sie ausübte. »Haste was Kleingeld über? ‘nen Zehner? ‘nen Fuffi?« Es war ein kleiner Betrag, an den sich eine große Frage knüpfte: »Sorgst du dich nicht um das Wohl deines Mitbruders?« Es half, dachte ich, dass er eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit Jesus hatte, dessen Wiederkunft angeblich jeden Tag bevorstand.
Ich beobachtete ihn etwa eine halbe Stunde, dann kam der Kassierer raus und schwenkte seine Hände wie Staubwedel in der Luft. »Es geht nicht, dass du unsere Kunden anmachst«, sagte er. »Zieh Leine, Scott.«
Anmachen sagten nur junge Leute, und den Ausdruck von einem Er wachsenen zu h ören klang ziemlich daneben und erinnerte mich an die Art, wie Cowboys in Filmen Amigo sagten. Ich wollte, dass der Hippie sich verteidigte und sagte, »reg dich ab, Mann«, oder, »wer macht hier wen an?«, aber er zuckte nur die Schultern. Beinahe elegant erhob er sich vom Boden und lief quer über den Parkplatz zu seinem Wagen, der wahrscheinlich sei nen Eltern gehörte. Es tat nichts zur Sache, dass er vermutlich noch bei sei nen Eltern wohnte, tags über das System kritisierte und jeden Abend daheim in ein weiches Bett fiel. Vielleicht hatte er meine fünfzig Cent für irgend welchen Luxus ausgegeben – Räucherstäbchen etwa oder Gitarrensaiten –, aber das war nicht weiter schlimm. Er war der übelste Albtraum eines Erwachsenen, und abgesehen von dem Hut, wollte ich genauso sein wie er.
Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens bekam ich immer noch Taschen geld, drei Dollar die Woche, das ich mit Babysitten und Aushilfsjobs in der Dorton Arena, einer Konzert- und Ausstellungshalle auf dem Jahrmarktsgel ände, auffrischte. Wenn
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