Nachtprogramm
falscher Fuffziger, du glaubst vielleicht, du könntest bei mir landen, aber da hast du dich geschnitten.« Im Verlauf des Nachmittags ersetzten wir Falscher Fuffziger durch Hippie, wodurch wir uns einreden konnten, Jerry hätte uns nicht deshalb gefeuert, weil wir ihn sitzen gelassen hatten, sondern weil wir frei waren und die Zeichen der Zeit erkannt hatten. Es machte nichts, dass wir nie wieder für ihn arbeiten würden, denn die Tage lagen hinter uns. Alle Arbeit lag hinter uns.
Gegen f ünf hatte ich genügend Geld für meine Weste erbettelt, aber Dan und ich waren auf den Geschmack gekommen und wollten noch weitermachen. Es wurden Pläne geschmiedet für Stereoanlagen und Klappfahrräder, was immer man haben wollte, bar bezahlt in lauter Zehncentstücken. Dann wurde es dunkel, und der Rummelplatz erstrahlte im bunten Lichterglanz. Die frühen Abendstunden waren ausgesprochen einträglich, aber dann wechselte das Publikum, und die Atmosphäre wurde ruppiger.
»Etwas Kleingeld übrig?«
Der Kerl, an den ich mich gewandt hatte, trug einen zarten Flaum auf der Oberlippe, kaum mehr als ein paar Dutzend Härchen, und sein Mund war nicht größer als der eines Neugeborenen.
»Was hast du gesagt?«, fragte er.
Ich wollte gehen, doch er riss mich im gleichen Moment herum, und ich sah seine Armyjacke, kein altes, abgewetztes Teil aus dem Secondhandladen, sondern nagelneu, wie man sie sich zum Eingewöhnen kauft, wenn man vorhat, zur Armee zu gehen.
»Hast du mit mir gesprochen, Vogelscheuche?« Sein Mund war jetzt größer. »Hast du irgendwas zu mir gesagt?«
Ein zweiter Junge trat hinzu und legte dem aufgebrachten Typen eine Hand auf die Schulter. »Komm schon, Kurt«, sagte er. »Lass gut sein.«
»Du hast vielleicht nicht mitbekommen, worum’s hier geht«, sagte Kurt, »aber der Komiker hier hat mich angequatscht.« Er ereiferte sich, als hätte ich ihm ins Maul gepinkelt. »Ich meine, der hat tatsächlich was zu mir gesagt.«
Zwei weitere Kumpel, die bereits vorausgegangen waren, kamen zur ück, um zu sehen, was los war, und ließen sich mit verschränkten Armen die Si tuation von Kurt erklären. »Ich gehe hier einfach so rum, und dann kommt dieses Stück Scheiße und labert mich an. Quatscht mich an, als würden wir uns kennen, dabei kennen wir uns gar nicht. Verdammt, keiner kennt mich.«
Wenn eins noch schlimmer ist als ein F ünfundzwanzigjähriger mit einem Vietnamflashback, dann ein Vierzehnjähriger mit einem Vietnamflashforward. Ich drehte mich nach Dan um und sah ihn in der Menge verschwinden, als Kurts Faust auf mein Ohr krachte, den Bügel meiner Brille zerbrach und sie zu Boden segelte. Der zweite Schlag streifte meine Oberlippe, beim dritten waren seine Freunde zur Stelle, hielten Kurts Arme fest und sagten: »Hey, Mann, lass gut sein. Der Typ ist es nicht wert.«
Ich schmeckte das Blut auf meiner Lippe. »Sie haben Recht«, sagte ich. »Ich bin’s nicht wert. Ich schwör’s. Du kannst jeden hier fragen.«
»Er soll gefälligst nicht blöd Leute anquatschen, wenn er nicht weiß, wen er verdammt noch mal anquatscht«, sagte Kurt. »Beim nächsten Mal bring ich ihn um. Ich schwör’s euch.«
»Sicher, Kumpel. Sicher.« Kurts Freunde führten ihn weg. Kurz darauf kam noch mal einer zurück und drückte mir einen Dollar in die Hand. »Du bist cool, Mann«, sagte er. »Was Kurt getan hat, war falsch. Er dreht manchmal etwas durch, aber ich weiß, wo du herkommst. Ich bin auch für den Frieden.«
»Ich weiß«, sagte ich, »und ich bin dir dankbar dafür.«
Es war das erste Mal, dass jemand mir einen ganzen Dollar gegeben hatte, und ich überlegte, dass, wenn ich mich zwanzigmal am Tag zusammen schlagen ließ, ich richtig Geld machen würde. Dann sah ich meine zerbrochene Brille, und die Idee war gestorben. Ich hob sie vom Boden auf, als Dan ankam und so tat, als habe er von allem nichts mitbekommen. »Was ist denn mit dir los?«
»Tu nicht so«, sagte ich.
»Tu nicht wie?« Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht lachen zu müs sen, und in dem Augenblick wusste ich, dass es mit unserer Freundschaft aus war.
»Ruf deine Mutter«, sagte ich. »Ich will hier weg.«
Es gab eine Million Möglichkeiten, sich auf der Kirmes eine Schramme zu holen, und als meine Mutter fragte, was mit meiner Lippe passiert sei, erklärte ich ihr, ich sei bei der Fahrt mit dem Hullygully auf den Sicherheitsbügel geknallt.
»Bist du nicht ein bisschen zu alt dafür?«, fragte sie. Sie hatte das Hullygully
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