Nachtprogramm
kleines Apartment gefunden hätte. Es schien mir nicht jenseits der Grenzen des Möglichen, doch die Tränen meiner Mutter weckten in mir die Sorge, dass es doch schwerer werden könnte, als ich dachte. War ich in ihren Augen tatsächlich ein so hoffnungsloser Fall?
»Keine Sorge«, sagte ich. »Das schaff ich schon.«
Die Innenbeleuchtung des Wagens brannte, und ich fragte mich, was die vorbeifahrenden Autofahrer dachten, wenn sie meine schluchzende Mutter sahen. F ür wen mochten sie uns halten? Glaubten sie, meine Mutter sei eine dieser zart besaiteten Seelen, die gleich in Tränen ausbrechen, wenn jemand eine Macke in die Kaffeetasse schlägt? Nahmen sie an, ich hätte irgendetwas Schlimmes zu ihr gesagt? Sahen sie uns nur als eine weinende Mutter und ihr bekiffter, schwuler Sohn, die zusammen in einem Kombi hockten und eine Radiosendung über Vögel verfolgten, oder stellten sie sich, für einen kurzen Moment nur, vor, wir könnten etwas Besonderes sein?
Slurnus Lordicus
Als sie sicher war, dass sie jeden Schwarzweißfilm gesehen hatte, der je gedreht worden war, stieg meine Mutter auf Kabel um und sah bis tief in die Nacht Verkaufsfernsehen in der Küche. Gegen vier kam mein Vater aus dem Keller hoch, und die zwei machten sich eine halbe Stunde lang über das laufende Programm lustig »Jetzt ist aber genug«, glucksten sie. »Aufhören! Bitte!«
Die einzige dieser Sendungen, die sie ernst nahmen, wurde von einem Selfmademan präsentiert, der sich mit Immobilien eine goldene Nase verdient hatte und auf sein Studiopublikum einredete, als handle es sich um Studenten, die fürs Examen büffelten. Die Tafel war ständig in Gebrauch. Mit einem Zeigestock erläuterte er Tabellen und Grafiken, aber so oft er es auch erklärte, ich begriff nie, worüber der Typ redete. Wie es schien, hatte er durch die Refinanzierung seines Hauses siebzehn weitere gekauft, sie vermietet und sich so gleich noch ein Einkaufszentrum und mehrere Golf plätze geangelt. In seinen Taschen würde man mit viel Glück zwanzig Dol lar finden, aber auf dem Papier besaß er Millionen. Zumindest behauptete er das.
Wenn das Anh äufen von Eigentum tatsächlich einfach war, hätte eigent lich jeder den Ratschlägen dieses Millionärs folgen müssen, aber genau da lag der Haken: Nicht jeder war nachts um vier wach. Während der Rest der Welt schlummerte, hatte der Zuschauer daheim vor dem Fernseher entschieden voranzukommen, und war das nicht schon die halbe Miete? Ich hatte zu der Zeit keine Wohnung und sah die Sendung zweimal, bevor ich das Haus meiner Eltern verließ und in eine eigene Wohnung zog. Das war im Frühjahr 1980. Ein Jahr später besaßen mein Vater und meine Mutter ein Dutzend Doppelhäuser im Süden von Raleigh und waren auf dem sicheren Weg nach oben.
Wir nannten meine Eltern Slumlords, dabei sahen die Doppelhäuser nicht einmal schlecht aus. Jede Wohneinheit verfügte über einen Erker mit Fenster, Parkettboden und einen passablen Garten mit schattigen Bäumen. Zuerst waren weiße Mieter eingezogen, doch dann veränderte sich das Viertel, und mit Ausnahme einer älteren Frau im Rollstuhl waren alle Mieter schwarz. Einige wenige hatten Jobs, aber die meisten lebten von der Sozialhilfe, was für uns bedeutete, dass die Miete vom Staat bezahlt wurde, in der Regel pünktlich.
Die Idee meiner Eltern war, als Team zu arbeiten – sie würde sich um die Verträge kümmern und er um die anfallenden Reparaturen. Ich nahm an, dass mein Vater wie üblich alles an sich reißen würde, aber diesmal hielt er sich tatsächlich an die Abmachung. Verträge wurden unterzeichnet, und binnen eines Monats kannte meine Mutter sich bestens aus mit den diversen Abkürzungen der Sozialfürsorge und der Wohnämter. Die Durch schläge der eintreffenden Formulare wurden in Stapeln abgelegt, die sich in Kürze vom Abstellraum im Keller bis hinauf in mein ehemaliges Schlafzimmer ausbreiteten, das jetzt als provisorisches Büro diente. »Muss das unter RHA oder FHA?«, fragte meine Mutter. »Hat B. J. Anspruch auf AFDC oder bloß auf SSI?« Sie saß am Schreibtisch, die Ellbogen mit Kopierflüssigkeit verschmiert, und ich empfand Mitleid mit allen Beteiligten.
Zu meinen Gunsten verschaffte mir »Das Empire«, wie wir es gerne nannten, den einen oder anderen Gelegenheitsjob – eine Woche lang Wände anstreichen oder wetterfest machen oder in einem Garten ein Rohr freibuddeln. Der Nachteil an der Sache war, dass ich für meinen Vater arbeite te und der Lohn
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