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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Stil gab. Der Shagtanz kam auf. Bärte waren abgemeldet. Man sähe die Welt wie aus dem Fenster eines fahrenden Busses und spränge in dem Augenblick hinaus, den man instinktiv als seine Zeit erkannte. Es wäre der Zeitpunkt, an dem man ohne jede Anstrengung einfach man selbst sein und zugeben könnte, dass man Countrymusic mochte oder sich schon vor dem bloßen Gedanken gruselte, das eigene Haar im Nacken zu spüren. Man könnte sich nach Belieben kleiden und tun und lassen, was man wollte, und wenn einem danach war, auch den ganzen Tag im Kwik Pik verbringen. Beim Hinausgehen käme man an einer Frau in einem langen Rock vorbei, dessen Paisleymuster an Keime unter dem Mikroskop erinnerte. Ein Perlenstirnband, eine schmale Nickelbrille. Sie würde um etwas Kleingeld bitten, und man würde lachen, nicht gehässig, sondern höflich und leise, als hätte sie einen Witz erzählt, den man bereits kannte.

Medschra
    Es war nicht in irgendeiner Weise geplant, aber nachdem ich mit zweiund zwanzig mein zweites College geschmissen und ein paar Mal das Land durchquert hatte, fand ich mich plötzlich in Raleigh in einem Zimmer im Keller meiner Eltern wieder. Sechs Monate lang wachte ich gegen Mittag auf, zog mir einen Joint rein und hörte stundenlang die gleiche Joni-Mitchell-LP, bis mein Vater mich in sein Zimmer bestellte und mich rauswarf. Er saß stocksteif in einem großen, bequemen Stuhl hinter seinem Schreibtisch, und ich fühlte mich, als würde er mir den Job als sein Sohn aufkündigen.
    Ich hatte erwartet, dass es so kommen würde, und ehrlich gesagt machte ich mir nicht viel daraus. Ich sah es so, dass der Rausschmiss das einzig Richtige war, wenn ich je wieder auf die Füße kommen wollte. »Schön«, sagte ich. »Ich gehe. Aber es wird dir noch leidtun.« Das Drehbuch sah außerdem vor, dass ich die Tür hinter mir zuknallte, also hielt ich mich dar an.
    Ich hatte keine Ahnung, was ich damit meinte. Es schien einfach nur das zu sein, was man sagte, wenn man vor die Tür gesetzt wurde.
    Meine Schwester Lisa hatte ein Apartment in der Nähe der Universität und sagte, ich könne bei ihr wohnen, wenn ich nur die Joni-Mitchell-LP zu Hause ließe. Meine Mutter bot mir an, mich hinzufahren, und einen Joint später ließ ich mich darauf ein. Es war eine Viertelstunde Fahrt durch die Stadt, und unterwegs hörten wir die Wiederholung einer Radiosendung, bei der die Zuhörer anrufen und dem Moderator erklären konnten, welche Vögel gerade bei ihnen im Garten das Futterhäuschen belagerten. Normalerweise lief die Sendung am Vormittag, und es war seltsam, sie mitten in der Nacht zu hören. Die betreffenden Vögel waren seit Stunden zu Bett gegan gen und hatten keine Ahnung, dass im Radio über sie geredet wurde. Ich dachte eine Weile darüber nach und fragte mich, ob bei uns zu Hause irgendwer über mich redete. Soweit ich wusste, hatte nie jemand versucht meine Stimme nachzumachen oder meine Kopfform zu beschreiben, und es war deprimierend, dass ich unbemerkt blieb, während eine große Zahl Leute bereit schienen, für einen Kardinal alles stehen und liegen zu lassen.
    Meine Mutter hielt vor dem Apartmentgebäude meiner Schwester, und als ich die Tür öffnete, fing sie plötzlich an zu weinen, was mich beunru higte, weil sie so etwas normalerweise nicht so leicht tat. Es war nicht einer dieser »Du wirst mir fehlen«-Augenblicke, sondern etwas viel Tieferes und Traurigeres. Ich sollte es erst Monate später erfahren, aber mein Vater hatte mich nicht rausgeworfen, weil ich gammelte, sondern weil ich schwul war. Unsere kurze Unterredung hätte einer der Schlüsselmomente meines späte ren Lebens sein sollen, aber mein Vater hatte sich vor dem entscheidenden Wort so sehr geziert, dass er es weggelassen und bloß gesagt hatte: »Ich denke, wir wissen beide, warum ich dies tue.« Ich glaube, ich hätte ihn festnageln können, nur wusste ich nicht, wozu es gut sein sollte. »Ist es, weil ich ein Versager bin? Weil ich Drogen nehme? Weil ich trinke? Komm schon, Dad, nenn mir einen vernünftigen Grund.«
    Wer will so was schon sagen?
    Meine Mutter glaubte, ich wüsste die Wahrheit, und es zerriss ihr das Herz. Hier war gleich noch so ein Schlüsselmoment meines späteren Lebens, und auch diesmal war ich völlig ahnungslos. Sie weinte, bis es klang, als müsse sie sich verschlucken. »Tut mir Leid«, sagte sie. »Tut mir Leid, tut mir Leid, tut mir Leid.«
    Ich stellte mir vor, dass ich in ein paar Wochen einen Job und ein lausiges

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