Nachtprogramm
handelte und auf Phase eins Phase zwei folgen würde. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, es könn te bei diesem einen Schritt bleiben und das Ergebnis wäre ein Fußboden aus Teerpappe. Stellt man sich dazu noch nackte Füße vor, hat man den schlimmsten Albtraum jedes Fußpflegers. An den Knöcheln meiner Schwester befinden sich Fortsätze, die über Zehen und einen Spann verfügen, aber ich würde nicht Füße dazu sagen. Von der Farbe her erinnern sie an die ledrigen Pfoten von Menschenaffen, doch was die Festigkeit angeht, gleichen sie eher Hufen. Um gerade stehen zu können, streift sie regelmäßig Abfälle von der Fußsohle – einen Kronkorken, Glassplitter, einen Hähnchenknochen –, aber im nächsten Moment ist sie schon wieder in et was getreten, und die Prozedur geht von vorne los. Das passiert, wenn man Besen und Staubsauger gleichzeitig verkauft.
Ich sehe den dreckigen Lappen vor der unteren Hälfte des Küchenfensters und die verkrusteten Bratpfannen mit den abgebrochenen Stielen, die auf der fettigen Ofenplatte verteilt sind. Meine Schwester lebt in einer Fotografie von Dorothea Lange, und der Schwule in mir will gleich auf die Knie sinken und schrubben, bis die Finger bluten. Bisher habe ich das bei jedem meiner Besuche gemacht und jedes Mal gehofft, es könnte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Glänzende Küchengeräte, ein nach Scheuermilch duftendes Bad. »Riecht das nicht herrlich!«, sage ich anschließend immer. Als ich das letzte Mal hier war und den Boden im Wohnzimmer abgekratzt, gewischt und gebohnert hatte, musste ich mit an sehen, wie sie ein Weinglas umstieß und gute sechs Stunden Arbeit zunichtemachte. Es war kein Missgeschick, sondern ein wohlüberlegtes State ment: Deine Sorge um meinen Haushalt kann mir gestohlen bleiben. Später rief sie meinen Bruder an und nannte mich Fairy Poppins, was an sich nicht schlimm ist, wenn es nicht so passend wäre. Diesmal habe ich mir vorgenommen, eisern zu bleiben, aber wenn ich nicht putze, komme ich mir überflüssig vor und weiß so recht nichts mit mir anzufangen.
»Wir könnten reden«, schlägt Tiffany vor. »Damit haben wir es noch nie versucht.«
Ach ja?, denke ich. Wenn ich mit Tiffany weniger als mit meinen anderen Schwestern rede, dann deshalb, weil sie nie nach Hause kommt. Es dauerte Monate, sie zu überreden, zur Hochzeit meines Bruders zu kommen, und selbst als wir sie so weit hatten, rechnete niemand wirklich mit ihrem Erscheinen. Sie und Paul kommen prima miteinander aus, aber kom plett versammelt, macht sie die Familie nervös. Wir haben nur untätig da gesessen, als ihr Golfbälle in den Mund geschlagen wurden, und je weniger Zeit sie mit uns verbringt, desto glücklicher ist sie. »Kapiert ihr nicht?«, sagt sie. »Ich kann euch Typen nicht ausstehen .« Euch Typen. Als wären wir ein Unternehmen, das Spenden sammelt.
Tiffany tritt ihre brennende Zigarette auf der Teerpappe aus und hopst auf die K üchenplatte. Unter ihrem rechten Huf sehe ich die noch schwelende Kippe. »Ich habe ne Menge an den Fliesen gemacht«, erklärt sie mir und zeigt mit dem Finger in Richtung Kühlschrank, wo eine Mosaikplatte gegen die Wand gelehnt ist. Schon vor Jahren hat sie damit angefangen, einzelne Porzellansplitter zu verarbeiten, die sie im Abfall findet. Ihr neuestes Projekt hat die Größe einer Badematte und konzentriert sich um die Reste einer Hummelfigur, deren Engelsgesicht von einem wirbelnden Kranz aus Kaffeetassensplittern umgeben ist. Wie schon die kunstvollen Lebkuchenhäuser aus ihrer Zeit in der Backstube spricht aus Tiffanys Mosaiken die manische Energie eines Menschen, der eingeht, wenn er sich nicht ausdrücken kann. Es ist eine seltene Gabe, die vollkommene Unbefangenheit voraussetzt, und deshalb weiß sie auch nichts davon.
»Eine Frau wollte es kaufen«, erklärt sie mir. »Wir hatten sogar einen Preis vereinbart, aber irgendwie kam ich mir unanständig vor, dafür Geld zu nehmen.«
Ich kann verstehen, wenn man glaubt, man sei nicht gut genug, aber kei ner hat Geld dringender nötig als Tiffany. »Du könntest es verkaufen und dir einen Staubsauger zulegen«, sage ich. »Einen neuen Linoleumboden in der Küche legen, wäre das nichts?«
»Was hast du nur mit meinem Küchenboden?«, fragt sie. »Wen kümmert schon dieses gottverdammte Linoleum?«
In der Ecke des Zimmers nähert Daddy sich meiner Windjacke und knetet sie mit seinen Pfoten, um sich anschließend daraufzulegen und sich einzurollen. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher