Nachtprogramm
weiß nicht, warum ich mich überhaupt mit dir streite«, sagt Tiffany. Sie wollte mir ihre künstlerischen Arbeiten zeigen – etwas, das sie wirklich interessiert und worin sie gut ist –, und ich komme ihr, genau wie mein Vater, mit klugen Ratschlägen, wie sie etwas ganz anderes aus sich machen kann. Als ich in ihr Gesicht sehe und darin eine Mischung aus Erschöpfung und Trotz entdecke, muss ich an eine Unterhaltung denken, die ich jedes Jahr mit meinem Freund Ken Shorr führe:
ICH: Hast du schon einen Baum?
KEN: Ich bin Jude, ich schmücke keinen Weihnachtsbaum.
ICH: Dann hast du einen Kranz?
KEN: Ich sagte doch, ich bin Jude.
ICH: Oh, ich verstehe. Du suchst noch nach einem billigen Kranz.
KEN: Ich suche nach überhaupt keinem Kranz. Und jetzt lass mich bitte in Frieden.
ICH: Wahrscheinlich bist du genervt, weil du die Weihnachtseinkäufe noch nicht erledigt hast.
KEN: Ich mache keine Weihnachtseinkäufe.
ICH: Was soll das heißen? Du bastelst alles selbst?
KEN: Ich mache keine Weihnachtsgeschenke, kapiert? Verdammt noch mal, ich sagte doch, ich bin Jude.
ICH: Na gut, aber musst du nicht wenigstens was für deine Eltern kaufen?
KEN: Die sind ebenfalls Juden, du Hornochse. Deshalb bin ich auch einer. Man wird so geboren, verstehst du?
ICH: Klar doch.
KEN: Dann sag’s laut: »Ich verstehe.«
ICH: Ich verstehe. Aber sag, wo hängst du den Gabenstrumpf auf?
Ich scheine irgendwie nicht zu begreifen, dass alles, was mir wichtig ist, nicht automatisch wichtig f ür alle anderen ist, weshalb ich mir wie ein Missionar vorkomme, der immer nur bekehren will, anstatt zuzuhören. Ja doch, euer Tiki-Gott ist ganz hübsch, aber wir wollen hier über Jesus sprechen. Kein Wunder, dass Tiffany meine Besuche fürchtet. Selbst wenn ich nichts sage, scheine ich sie mit meinen spießigen Vorwürfen zu bedrängen, indem ich die Frau, die sie ist, mit der Frau vergleiche, die sie niemals sein wird, eine keimfreie Version, die mit echten Glasdeckeln kämpft und die anderer Leute Zähne und gefrorene Truthähne lässt, wo sie sie findet. Nicht, dass ich sie nicht mag – ganz im Gegenteil –, ich sorge mich nur, ohne einen festen Job und einen anständigen Linoleumboden könnte sie durch die Ma schen fallen und irgendwohin verschwinden, wo wir sie nicht mehr finden.
Im Wohnzimmer klingelt das Telefon, und es wundert mich nicht, dass Tiffany drangeht. Sie sagt dem Anrufer nicht, dass sie Besuch hat, sondern scheint sich, zu meiner großen Erleichterung, auf ein längeres Gespräch einzurichten. Ich beobachte meine Schwester, wie sie durchs Wohnzimmer geht und mit ihren mächtigen Hufen Staub aufwirbelt, und als ich sicher bin, dass sie nicht länger herüberschaut, scheuche ich Daddy von meiner Windjacke. Dann lasse ich heißes Putzwasser in die Spüle, kremple die Ärmel hoch und mache mich daran, ihr Leben zu retten.
Eine Dose W ürmer
Hugh wollte Hamburger, also gingen er, seine Freundin Anne und ich zu einem Restaurant, das sich Apple Pan nannte. Es war in Los Angeles, einer Stadt, die mir völlig fremd ist. Ich kenne die Namen einiger Stadteile aus dem Fernsehen, aber ich habe keine Ahnung, worin der Unterschied zwischen Culver City und, sagen wir, Silver Lake oder Venice Beach besteht. Schlägt jemand ein Ziel vor, gehe ich mit und lasse mich überraschen.
Ich dachte, das Apple Pan wäre ein Restaurant, aber es war eher wie ein Diner – keine Tische, sondern nur Stühle entlang einer hufeisenförmigen Theke. Wir bestellten unsere Hamburger bei einem Mann mit einer Pa piermütze auf dem Kopf, und während wir auf unser Essen warteten, zeigte Anne uns Fotos von ihrem Bullterrier. Sie ist professionelle Fotografin, deshalb waren es auch eher Porträtaufnahmen als Schnappschüsse. Auf einem Bild blinzelte der Hund hinter einem Vorhang hervor. Auf einem an deren lümmelte er sich wie ein Mensch im Sessel, eine Pfote auf den Bauch gelegt. Ich glaube, er hieß Gary.
Wenn sie nicht Fotos von ihrem Hund macht, fliegt Anne im Auftrag verschiedener Magazine durchs Land. Am Tag zuvor war sie aus Boston zurückgekehrt, wo sie einen Feuerwehrmann fotografiert hatte, dessen Nachname Bastardo war. »Wie Bastard mit einem o hinten dran«, sagte sie. »Lustig, was?«
Hugh erzählte ihr von Nachbarn in der Normandie, deren Nachname übersetzt »Breitarsch« lautet, aber wenn man kein Französisch spricht, ist der Witz nur schwer zu verstehen.
»Wird es mit Bindestrich geschrieben?«, fragte Anne. »Ich meine, hat Mr. Breit
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