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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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oder sonst wer ist. Ich lehne diese Lebensweise einfach ab.« Die Sprecherin hieß Audrey, und sie hatte bei ihrem Lokalsender angerufen, um ihre Meinung zu sagen. Der Skandal in der katholischen Kirche füllte seit einer Woche die Schlagzeilen, und nachdem über Priester alles gesagt war, verlagerte sich die Diskussion auf Pädophile im Allgemeinen und anschließend auf homosexuelle Pädophile, die gemeinhin als die schlimmste Sorte angesehen wird. Für das Talk Radio war es ein gefundenes Fressen, ähnlich wie Steuererhöhungen oder Serienmörder. »Wie denken Sie über erwachsene Männer, die sexuell mit Kindern verkehren?«
    »Also, ich bin dagegen!« Der Satz wurde immer so vorgebracht, als sei die Antwort irgendwie überraschend, eine Minderheitenposition, zu der sich noch niemand zu bekennen gewagt hatte.
    Ich war in den vergangenen zehn Tagen durchs Land gereist und hatte überall das Gleiche gehört. Der Moderator gratulierte dem Anrufer oder der Anruferin zu ihrer moralischen Entschlossenheit, und um dieses Lob noch einmal zu hören, wiederholte die Person ihre Aussage, diesmal unterstrichen durch ein zusätzliches Adverb oder eine kurze Ergänzung: »Man mag mich für altmodisch halten, aber ich bin ganz entschieden dagegen.« Im weiteren Gespräch wurden nach und nach die Wörter Homosexueller und Pädophiler im gleichen Zusammenhang genannt, als bezeichneten sie ein und dasselbe. »Jetzt haben wir sie sogar schon im Fernsehen«, sagte Audrey. »Und in den Schulen! Man kennt ja das Sprichwort vom Küken im Hühnerstall.«
    »Fuchs«, sagte der Moderator. »Das Sprichwort heißt ›der Fuchs im Hühnerstall, nicht ›das Küken im Hühnerstalle«
    Audrey stutzte einen Moment. »Habe ich Küken gesagt? Na, Sie wissen, worauf ich hinaus will. Diese Homosexuellen können keinen Nachwuchs bekommen, deshalb gehen sie in die Schulen und versuchen unsere jungen Leute anzuwerben.«
    Ich hörte das nicht zum ersten Mal, nur war ich sonst weniger schlecht gelaunt. Mit einer einzelnen Socke am Fuß stand ich mitten im Zimmer und brüllte den Radiowecker an: »Mich hat niemand angeworben, Audrey, und ich hätte drum gebettelt .«
    Es war allein ihre Schuld, dass ich hier in diesem Kellerloch ohne Gepäck saß, ihre und die all der anderen Leute, die wie sie waren, dieser zufriedenen Familien, die vom Parkplatz zum Restaurant in der ersten Etage stapften, der Hotelgäste, die einen Whirlpool im Bad hatten und Zimmer, von denen aus man auf die umliegenden Wälder blickte. Warum die Aussicht an einen Homosexuellen verschwenden? Der sieht sich doch nur das Rektum von Schulknaben an. Und einen Koffer? Als ob wir nicht alle wüss ten, wozu er den braucht. Sie mochten es vielleicht nicht laut sagen, aber sie dachten es. Da war ich mir sicher.
    Es war nur logisch, dass, wenn die Welt sich gegen mich verschworen hatte, die Kaffeemaschine im Zimmer ebenfalls nicht funktionierte. Sie stand auf der Ablage im Badezimmer und spuckte tröpfchenweise kaltes Wasser aus. Mit einem kurzen, ziemlich verunglückten Aufschrei beendete ich das Ankleiden und ging aus dem Zimmer. Neben der Treppe am Ende des Flurs knieten ein gutes Dutzend älterer Damen auf dem Teppich und nähten an einer Patchworkdecke. Als ich an ihnen vorbeiging, blickten sie zu mir auf, und eine fragte: »Genz’ irsche?« Sie hatte lauter Nadeln im Mund, und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie sagte: Gehen Sie zur Kirche? Es war eine seltsame Frage, aber dann fiel mir ein, dass Sonntag war und ich eine Krawatte trug. Irgendwer hatte sie mir gestern am College geliehen, und ich hatte sie umgebunden in der Hoffnung, damit von meinem zerknitterten Hemd und den Schweißrändern unterm Arm ab zulenken. »Nein«, antwortete ich, »ich gehe nicht zur Kirche.« O Mann, ich hatte eine Mordslaune. Mitten auf der Treppe drehte ich mich noch einmal um. »Ich gehe nie zur Kirche«, sagte ich. »Niemals. Und ich werde jetzt nicht damit anfangen.«
    »Smüssnz issen«, sagte sie.
    Nachdem ich am Restaurant und am Souvenirshop vorbeigekommen war, entdeckte ich mitten in der Lobby einen kleinen Tisch für Getränke. Ich wollte mir einen Kaffee holen und ihn mit vor die Tür nehmen, als im letzten Moment ein Junge an mir vorbeisprang und sich daran machte, eine Tasse heißen Kakao zu rühren. Er sah aus wie alle die anderen Burschen, die ich in den letzten Tagen an Flughäfen und auf Parkplätzen gesehen hat te: Schlabbersweatshirt mit aufgedrucktem Vereinsemblem,

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