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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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nach der Stewardess ruft. »Stimmt etwas nicht?«, fragt sie.
    »Danke, alles in Ordnung.«
    »Von wegen ›alles in Ordnung‹«, sagt der Fluggast. »Der Typ hier fummelt mir ständig auf dem Kopf herum.«
    »Stimmt das, Sir?«
    Es muss nicht immer der Kopf sein. Manchmal muss ich auch eine bestimmte Tasche oder ein Portemonnaie berühren. Als Kind war diese Art von zwanghaftem Verhalten mein Leben, doch inzwischen überkommt es mich nur noch an Orten, an denen ich nicht rauchen kann: in Flugzeugen zum Beispiel, oder eben in Aufzügen.
    Streich dem Jungen einjach über den Kopf, dachte ich. Der alte Mann hat es auch getan, warum sollst du es nicht machen?
    Mir einzureden, dass es sich nicht gehört, macht die Stimme nur noch drängender. Ich muss es tun, gerade weil es sich nicht gehört. Wenn es anders wäre, brauchte ich mich nicht damit zu quälen.
    Er wird es nicht einmal bemerken. Na los doch, mach schon.
    Auf einem l ängeren Flug hätte ich den Kampf verloren, doch zum Glück dauerte unsere Fahrt nicht lange. Sobald der Aufzug in der fünften Etage hielt, sprang ich heraus, stellte die beiden Becher auf den Boden und zündete mir eine Zigarette an. »Kleinen Augenblick nur«, sagte ich.
    »Aber mein Zimmer ist gleich am Ende des Gangs. Und außerdem ist dies eine Nichtraucheretage.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Es ist nicht gut für Sie«, sagte er.
    »Das stimmt für die meisten Leute«, erklärte ich, »aber für mich ist es tatsächlich gut. Glaub mir.«
    Er lehnte gegen eine Zimmertür und nahm das BITTE-NICHT-STÖREN-Schild von der Klinke, schaute es einen Augenblick an und ließ es in seiner Hosentasche verschwinden.
    Ich musste nur ein paar Züge machen, doch als ich fertig war, bemerkte ich, dass es keine Aschenbecher gab. Neben dem Aufzug war ein Fenster, aber es ließ sich natürlich nicht öffnen. Hotels. Sie tun alles, damit man sich aus dem Fenster stürzen will, und dann sorgen sie dafür, dass es nicht aufgeht.
    »Hast du den Kakao ausgetrunken?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Brauchst du den Deckel noch?«
    »Glaub nicht.«
    Er gab ihn mir, und ich spuckte in die Mitte – keine leichte Aufgabe, da mein Mund völlig ausgetrocknet war. Fünfzig Prozent meines Wasserhaus halts tröpfelten aus meinem Arsch, und die andere Hälfte war auf Achse.
    »Das ist eklig«, sagte er.
    »Ja doch, aber dieses eine Mal musst du drüber hinwegsehen.« Ich drückte die Zigarette in die Spucke, setzte den Deckel auf den Boden und nahm die beiden Becher wieder auf. »Okay. Wo geht’s lang?«
    Er zeigte den Gang entlang, und ich marschierte hinter ihm her, in Gedanken bei einer Frage, die mich schon seit vielen Jahren quält. Was wäre, wenn ich ein Baby hätte und ... und es unbedingt an einer Stelle berühren müsste, an der es sich nicht gehört. Ich meine nicht, dass man es dort berühren wollte. Man hätte nicht mehr Verlangen, es zu berühren, als man Verlangen hat, seine Hand ein zweites Mal auf den Kopf seines Vordermanns zu legen. Die Handlung wäre eher zwanghaft als sexuell, und während es für einen selbst einen gewaltigen Unterschied machte, könnte man das Gleiche nicht von einem Richter und schon gar nicht von einem Klein kind erwarten. Man wäre ein schlechter Vater, und sobald das Kind sprechen könnte und man ihm erklärte, es keinem weiterzusagen, würde man auch noch zum Manipulator, letztendlich also zu einem Monster, und die Gründe für das eigene Verhalten würden nicht weiter zählen.
    Je n äher wir dem Ende des Flurs kamen, desto mehr wuchs meine Angst. Ich hatte den Kopf des Jungen nicht einmal mit dem Finger berührt. Ich ha be noch nie einen Säugling oder ein Kind mit dem Finger gestupst oder geknufft, warum also kam ich mir so verdorben vor? Zum Teil lag es an mir selbst und der tief sitzenden Überzeugung, dass ich ein Zimmer im Keller verdient hatte, der weitaus größere, hässlichere Teil aber hatte mit den An rufern aus dem Radio zu tun und mit meinem Hang, ihnen wider besseres Wissen Glauben zu schenken. Der Mann im Aufzug hatte nicht die leisesten Skrupel, Michael persönliche Dinge zu fragen oder ihm die Hand auf den Hinterkopf zu legen. Weil er weder Priester noch Homosexueller war,
    brauchte er sich nicht selbst zu beobachten und bei jedem Wort und jeder Geste zu befürchten, sie könnten missverstanden werden. Er konnte unbekümmert mit einem wildfremden Jungen durch Hotelflure streifen, wäh rend es für m ich einer politischen Demonstration gleichkam – der Beteue

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