Nachtruf (German Edition)
den Verschluss an seinem Holster. Er bereitete sich auf das Schlimmste vor.
„Glaubst du, die haben Waffen bei sich?“
Er blickte wieder in den Spiegel. „Ich hoffe, wir müssen es nicht herausfinden.“
Der Weg führte sie aus dem Lower Garden District in ein heruntergekommenes Viertel der Stadt. Je weiter sie fuhren, desto verwohnter wirkten die Häuser. Schließlich wurden sie von Industriegebäuden aus Beton und metallenen Lagerschuppen abgelöst. Als sie sich den Frachtkais am Mississippi näherten, fiel Rains Blick sofort auf die großen Kräne, die von den Schiffen aufragten. Im Dunkel der Nacht sahen sie aus wie Dinosaurier. Ein kurzes Stück die Straße hinunter führte eine Brücke über einen der Kanäle, die in den Hafen mündeten. Der Truck hielt wieder auf sie zu und beschleunigte zum nächsten Angriff.
„Halt dich fest!“
Dieses Mal drehte Trevor das Steuer gerade rechtzeitig vor dem nächsten Aufprall. Das riesige Fahrzeug schnitt nur den Heckflügel des Taurus, anstatt ihn voll zu erwischen. Wild schleuderte das Auto über die Straße, und Rain schloss entsetzt die Augen. Schließlich brachte Trevor den Wagen auf einem sandigen Seitenstreifen zum Stehen. Der Truck dagegen war viel zu schnell. Er schlingerte und kippte zur Seite. Mit ohrenbetäubendem Lärm krachte er durch die Leitplanke.
„Alles in Ordnung?“ Trevor tastete Rain nach Verletzungen ab.
„Ich glaube schon.“
„Bleib im Wagen. Nimm dein Handy und ruf Hilfe.“ Er löste seinen Gurt und stieg aus.
Rain fischte ihr Handy aus der Hosentasche und wählte die Notrufnummer, während Trevor über die kaputte Leitplanke kletterte. Im nächsten Moment war er verschwunden. Sobald sie die Notfallzentrale erreicht hatte und sicher war, dass Hilfe kam, warf sie das Telefon auf den Sitz. Sie konnte nicht nur dasitzen und warten. Sie öffnete die Tür und machte sich auf den Weg in die Richtung, die Trevor eingeschlagen hatte.
An der Leitplanke blieb Rain stehen und blickte sich um. Lichter von der Brücke beleuchteten nur spärlich ein Kudzu-Feld,das die Straße vom Fuß der Überführung trennte. Der Truck war in einen der stählernen Brückenstützpfeiler geschleudert. Die Vorderseite des Wagens war übel zugerichtet, die Ladefläche hatte den Sicherheitszaun eingerissen und hing nun gefährlich über die Ufermauer hinaus. Ein Sturz in den Kanal würde tödlich enden, falls die Insassen überhaupt noch am Leben waren. Trevor war ungefähr vier Meter vom Truck entfernt und beugte sich über eine reglose Gestalt. Selbst in der Dunkelheit konnte Rain erkennen, dass es eine Frau war.
Sie bahnte sich den Weg durch den kniehohen Kudzu. Als eine große Biberratte an ihr vorbeihuschte, schreckte sie zusammen. Das schwache Licht von der Brücke erhellte kurz das ölige Rückenfell der Ratte, bevor das Tier im Gestrüpp verschwand. Rain näherte sich dem Autowrack. In diesem Augenblick kroch der Fahrer aus der vorderen Beifahrertür, richtete sich auf und taumelte los. Sein gespenstisch weißes Gesicht war zum Teil unter den Haaren verborgen. Dennoch konnte Rain die blutende Schnittwunde über der einen Augenbraue erkennen. Als er Rain bemerkte, wollte er weglaufen.
„Stehen bleiben!“, rief sie. Aber als sie den Griff einer Waffe aus seiner Hose herausragen sah, erstarb ihre Stimme. Doch anstatt die Waffe zu benutzen, drängte er an ihr vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Rain klopfte das Herz bis zum Hals. Das schleifende Geräusch von Metall gegen Metall weckte schließlich ihre Aufmerksamkeit. Der Truck kippte leicht. Das Heck schwankte über dem Kanal.
„Du solltest nicht hier unten sein“, sagte Trevor, als sie zu ihm stieß. Rain blickte auf die blutüberströmte Frau. Sie war vielleicht Anfang zwanzig. Ihr schwarzes Haar fiel in dicken Strähnen auf den Boden, die Augen hatte sie geschlossen, Gesicht und Kopf zeigten Schnittverletzungen. „Sie wurde aus dem Fahrzeug geschleudert. Sieht aus, als ob sie durch die Windschutzscheibe geflogen wäre.“ Trevor hatte seine Krawatte zu Hilfe genommen, um die Blutung aus einer tiefen Schnittwunde am rechten Arm der Frau vorläufig zu stillen. Rain drehte sich derMagen um. „Sie atmet, aber sehr unregelmäßig.“ Er stand auf. „Pass auf sie auf. Da ist noch ein Mann auf dem Rücksitz. Er hat auf mein Rufen nicht reagiert.“
„Was willst du machen?“
„Ich muss ihn aus dem Truck ziehen.“
„Trevor, der Truck kann jeden Moment abstürzen!“
Doch er ließ sie stehen
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