Nachtruf (German Edition)
nicht?“
Rain lief los, in den Wald hinein. Sie achtete nicht auf die stacheligen Zweige, die ihr ins Gesicht und gegen dir Arme schlugen, sie hörte nur die zornigen Schreie ihres Verfolgers und seine schweren Schritte. Das Adrenalin in ihrem Blut trieb sie nur noch schneller an. Sie rutschte eine moosbedeckte Böschung hinab und versuchte, den Abstand zu Carteris so schnell sie konnte zu vergrößern.
Eine Zeit lang schien es, als ob sie ihn abgeschüttelt hätte. Der Schein der Taschenlampe folgte nicht länger ihrer Spur. Alles, was sie vernahm, war ihr eigenes angestrengtes Atmen. Doch Rain rannte weiter, bis sie plötzlich über etwas stolperte. Wahrscheinlich waren es die Wurzeln einer Sumpfzypresse, die aus dem Boden ragten. Sie stürzte einen Abhang hinab und landete auf allen vieren im trüben Wasser. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr rechtes Handgelenk. Sie biss sich auf die Lippen,um nicht laut aufzuschreien, als mit einem Mal etwas über ihren Knöchel glitt.
„Rain!“
Carteris musste gehört haben, wie sie ins Wasser gefallen war.
Fieberhaft versuchte sie, sich aufzurappeln. Ihr Handgelenk pochte heftig, als sie sich über die matschige Uferböschung des Tümpels quälte. Der Geruch von verrottenden Pflanzen stieg ihr in die Nase, und Moskitos summten um ihre Ohren. Sie suchte Halt an dürren Wurzeln und mühte sich panisch, den rutschigen Abhang hinaufzukommen.
Als sie die Spitze der Anhöhe erreicht hatte, tasteten ihre Finger nach etwas Hartem, Glattem, das aus dem Schlamm aufragte. Im gleißenden Licht eines Blitzes erkannte sie, was es war. Ein entsetzter Schrei kroch ihr die Kehle hinauf. Ein menschlicher Knochen. Wilde Tiere hatten das Fleisch abgenagt. Rain würgte und stöhnte auf. Ganz in der Nähe entdeckte sie eine runde Schädeldecke, die aus der nassen Erde hervorblitzte. Ein paar Büschel langer verfilzter Haare hingen noch daran.
Ihr kam die Galle hoch. Verzweifelt kam sie auf die Beine. Genau in diesem Augenblick traf sie ein harter Schlag von hinten. Rain stürzte der Länge nach hin. Ihre Hände versanken im Matsch. Völlig benommen drehte sie den Kopf und entdeckte ein Paar Schuhe, die mit Schlamm bedeckt waren. Carteris richtete den Lichtkegel direkt auf ihr Gesicht.
„Vor mir wegzulaufen ist eine ziemliche Dummheit.“
Sie schrie, als er ihr Haar packte und sie grob auf die Knie zerrte. Ihr Widerstand war vergeblich. Er zog sie hoch und schleifte sie zu dem wartenden Geländewagen.
In das Haus auf der Prytania zurückzukehren fühlte sich an wie eine tödliche Wunde. Trevor starrte auf die Anrichte in der Küche, auf der immer noch ihre Frühstücksteller vom frühen Morgen standen. Erschöpft rieb er sich mit der Hand über das Gesicht. Er war nicht vorsichtig genug gewesen. Er hatte zugelassen, dass sein Vater und seine Vergangenheit ihn ablenkten –nur so hatte Carteris seinen Plan durchführen können. Gott allein wusste, was gerade mit Rain geschah oder ob sie überhaupt noch lebte. Sie hatten bis auf die Fahndung nach Carteris’ Wagen nichts, was zu ihrer Rettung beitragen konnte. Trevor hatte das Gefühl zu ertrinken und schloss gequält die Augen.
Irgendwann hörte er Dahlia schnurren. Sie war auf die Anrichte gesprungen. Er streichelte den seidigen Kopf der Katze, holte eine Dose Futter aus der Speisekammer und fütterte das Tier. Eine Weile starrte er, versunken in seine Hilflosigkeit, aus dem Fenster vor der Spüle. Regentropfen perlten an der Scheibe hinab. Dann wählte er sich in Rains Mailbox ein. Den Zugangscode hatte er von ihrem Netzanbieter erhalten. Er hörte die Nachricht ab, die Oliver Carteris kurz vor seinem Tod hinterlassen hatte.
Ich muss mit Ihnen reden. Scheiße. Gehen Sie doch einfach ans Telefon …
Hatte der Junge sie warnen wollen?
Carteris’ Reisebelege hatten Trevors Verdacht bestätigt. Die achtzehnmonatige Vorlesungsreise des Chirurgen passte zur zeitlichen Abfolge der Morde in den betreffenden Städten. Außerdem gehörte eine der Haarsträhnen, die in dem Mercedes gefunden worden waren, zu Cara Seagreen. Trevor stellte sich vor, wie Oliver in New Orleans nach Beute suchte, um sie nach Hause zu seinem Vater zu bringen. Mit seinem exotischen, guten Aussehen und Carteris’ teurem Sportwagen war das vermutlich keine allzu schwere Aufgabe gewesen.
Sein Handy klingelte. Er zog es aus der Tasche und klappte es auf.
„Agent Rivette? Hier spricht Sandra Bellamy von der FBI-Außendienststelle in New Orleans. Ich dachte, es
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