Nachtruf (German Edition)
drängte sich gegen sie, und seine Hände fühlten sich auf ihrer feuchten Haut heiß an. Er sprach, und seine Stimme klang hart, schneidend. „Ich werde dich jetzt wieder küssen. Und dieses Mal wirst du mich so zurückküssen, als ob du es ernst meinen würdest.“
Er vergrub seine Hände in ihrem Haar. Der Kuss war rauer, tiefer als vorher, beinahe wie eine Züchtigung, als er seine Zunge in ihren Mund zwang. Rain schrie auf, aber der Laut wurde von seinem Mund erstickt.
„Desiree“, stieß er hervor und glitt mit seinen feuchten Lippen ihren Hals hinab.
Sie ließ das Glas fallen und stemmte sich gegen seine Brust. Das Kristall zerbrach auf den Holzplanken, Wein spritzte auf den Saum ihres Kleides. Sie stolperte rückwärts und wischte sich über den Mund, um Carteris’ Geschmack loszuwerden. Sie konnte nicht tun, was er wollte. Lieber starb sie.
„Wir gehen wieder hinein.“ Er packte sie am Arm, doch Rain nutzte den Augenblick, griff nach dem Insektenspray und sprühte einen Schwall der Chemikalie direkt in seine Augen. Carteris heulte auf und schlug die Hände vors Gesicht. Rain rannte die Stufen der Veranda hinunter und in den Wolkenbruch hinein.
Barfuß lief sie über die Lichtung ins Gehölz, in Richtung der Straße, auf der sie zuvor zum Haus gefahren waren.
Seine zornigen Schreie folgten ihr in die Dunkelheit.
43. KAPITEL
Wenn ich dem Schotterweg weiter folge, muss ich über kurz oder lang den Highway erreichen, dachte Rain. Und dort würde sie hoffentlich ein vorbeifahrendes Auto anhalten können. Sie war vielleicht eine Stunde gelaufen, aber sie kam entsetzlich langsam voran. Ihre nackten Füße waren aufgeschürft und zerschnitten, die nasse Seide des Kleides klebte an ihrem Körper. Über ihr war das letzte bisschen Licht vom Himmel verschwunden. Bis auf die immer wiederkehrenden Blitze umgab sie eine so völlige Dunkelheit, wie sie es in der Stadt noch nie erlebt hatte.
Sie kämpfte sich durch den Regen und versuchte, nicht an den unheimlichen Sumpf mit den Alligatoren und den anderen wilden Tieren zu denken. Rain wusste nur, dass sie es lieber mit der Wildnis aufnahm, als noch einen weiteren Augenblick mit Carteris zu verbringen. Die brutalen Flüche, die er ihr hinterhergeschickt hatte, als sie von der Hütte fortgerannt war, waren deutlich genug gewesen. Wenn er sie wieder einfing, würde sie mit dem Leben für ihr Vergehen bezahlen.
Ich war da in jener Nacht. Du warst so ein winziges, kleines Ding, dass ich beschloss, dein Leben zu verschonen.
Sie konnte nicht aufhören, über die Behauptungen von Carteris nachzugrübeln. Er hatte auf einmal so klar und überzeugend geklungen.
Nein, ermahnte sie sich. Das war unmöglich. Carteris war viel zu jung, um ihre Mutter überhaupt gekannt zu haben – es war nichts weiter als das wirre Gerede eines Psychopathen. Es konnte gar nicht anders sein. Sie seufzte. In ihrem Kopf herrschte dumpfe Benommenheit. Ihre Gedanken wanderten zu Trevor, und plötzlich füllten sehnsuchtsvolle Tränen ihre Augen. Ob er schon wusste, dass es Carteris war, der sie entführt hatte? Suchte er noch nach ihr, oder hatte er sich schon damit abgefunden, dass sie möglicherweise tot war?
Sie musste unbedingt telefonieren. Der Wunsch gab ihr Kraft, und sie beschleunigte die Schritte. Doch nach ein paar HundertMetern durchbrachen plötzlich zwei Scheinwerfer die Dunkelheit. Ihr stockte das Herz. Sie floh tiefer in das Gebüsch am Straßenrand hinein und kauerte sich auf den Boden, aber der Lichtkegel verfolgte sie unbarmherzig weiter.
„Rain!“ Carteris hatte das Fenster auf der Fahrerseite des Escalade heruntergelassen. Kies knirschte unter den Reifen, als der Wagen weiterrollte. Hatte er sie gesehen? Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als das Fahrzeug nicht weit von ihr entfernt zum Stehen kam.
Carteris ließ die Scheinwerfer brennen. Er schaltete den Motor aus und kletterte aus dem Wagen. Mit einer starken Taschenlampe begann er, das Gebüsch abzusuchen, und kam immer näher an Rains Versteck heran. Es wirkte fast so, als könnte er ihren Duft und ihre wachsende Angst riechen. Sie blieb bewegungslos hocken, hielt die Luft an, zwinkerte nicht einmal.
„Ich bin schon wütend auf dich.“ Seine Worte klangen knapp und schneidend. „Komm jetzt raus. Mach das Ganze nicht noch schlimmer, als es sein muss.“ Der Schein der Taschenlampe fiel direkt auf ihr Versteck. Für einen Augenblick war sie geblendet. „Das ist dein Schicksal, Rain. Verstehst du das
Weitere Kostenlose Bücher