Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtruf (German Edition)

Nachtruf (German Edition)

Titel: Nachtruf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leslie Tentler
Vom Netzwerk:
mir beibrachte …“ Seine Stimme erstarb, und Widerwille schlich sich in seine Züge. Er legte das Albumcover weg. „Als ich erst einmal von der Bildfläche verschwunden war, brauchte sie nicht lange, um mich zu vergessen. Sie fing beinahe sofort etwas mit Gavin Firth an. Er war damals schon recht berühmt und nach New Orleans gekommen, um mit den Größen des Blues zu spielen. Für Desiree war das die ideale Gelegenheit. Firth konnte sie in ihrer Karriere unterstützen – mit seinen Verbindungen konnte er sie sogar zu einem Star machen. Deine Mutter war immer gut darin, Leute für ihre Zwecke zu benutzen, Rain.“ Er packte sie am Kinn. „Du hast ihre feinen Züge geerbt.“
    „Ich bin nicht sie“, brachte sie mühsam hervor. „Bestimmt verstehen Sie …“
    „Steh auf.“
    Heftig zitternd gehorchte Rain ihm. Wieder spürte sie, wie beängstigend stark Carteris’ Wirkung auf sie war. Er strich über ihren Hals. Ihr Puls pochte unter seinen Fingern, als er sanften Druck auf die Hauptschlagader ausübte.
    „Blut ist der Schlüssel zu allem. Ich bin ein wohlhabenderMann. Wie, glaubst du, bin ich das geworden?“
    „Ihre Familie hatte … Geld“, stammelte sie. „Sie sind Herzchirurg …“
    „Das ist nicht mehr als eine Nebenbeschäftigung für mich. Hast du jemals eines von diesen Promimagazinen durchgeblättert und dich gefragt, wie eine Schauspielerin, die auf die fünfzig zugeht, so jung und frisch aussehen kann wie ein zwanzigjähriges Mädchen?“ Er machte eine bedeutsame Pause. „Es gibt eine erstaunliche geheime Forschung zu dem Thema. Man hält mich für einen Pionier auf diesem Gebiet. Meine Arbeit hat mir ein Vermögen eingebracht.“ Mit dem Daumen fuhr er über ihre Unterlippe. „Ich hätte auch Desiree für immer jung und schön erhalten können.“
    „Wie alt sind Sie?“, flüsterte sie.
    „Wie alt wäre deine Mutter, wenn sie noch leben würde?“
    Mit aller Macht unterdrückte Rain den instinktiven Impuls, sich zu wehren, als Carteris langsam den Kopf senkte und sie küsste. Sie hielt vollkommen still, leistete keinen Widerstand, erwiderte den Kuss aber auch nicht. Schließlich löste er sich von ihr und seufzte. Sie zuckte zusammen, als plötzlich die ersten dicken Regentropfen auf das Blechdach trommelten.
    „Der Sturm ist da“, verkündete er und nahm sein Glas. „Hol deinen Wein. Wir werden unsere Drinks auf der Veranda austrinken.“
    Sie hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen. Rain nahm mit zitternden Fingern ihr Glas. Wenn sie sich fügte, blieb sie vielleicht länger am Leben. Sie ging zu der Tür, die er für sie aufhielt. Carteris, seine Behauptungen über ihre Mutter, die Hütte hier im Sumpf – das alles erschien ihr wie ein unfassbarer Albtraum. Selbst ihre Schritte waren schleppend und schwer, als ob sie vor Angst in eine Art Trance gefallen wäre. Sobald sie auf die enge Veranda hinaustrat, spürte sie, wie der Wind unter den schützenden Dachüberstand fegte. Er brachte einen kalten Nebel mit sich, der sie wachrüttelte. Regenschauer prasselten in silbernen Strömen rings um sie nieder.
    In diesem Augenblick erhellte eine mächtige Explosion den Himmel. Der Blitz schlug irgendwo in der Nähe ein und versetzte die Luft mit dem Geruch nach verschmortem Elektrodraht. Doch Carteris schien das nicht zu bemerken. Er sah hinüber zu den Ruinen des Herrenhauses.
    „Desiree liebte den Sturm. Ich vermute, deshalb hat sie dir auch diesen Namen gegeben.“ Er leerte sein Glas und stellte es auf die Brüstung neben eine Dose Insektenspray. Das Wespennest hing noch immer unter dem dunklen Dachvorsprung, aber kein Summen war zu hören. Es sah aus wie ein düsterer, verlassener Mond. „Wusstest du, dass ich dir einmal begegnet bin, als du noch ein kleines Kind warst?“ Er nahm die Brille ab und steckte sie in seine Hemdtasche. „Ich war da in jener Nacht. Du warst so ein winziges, kleines Ding, dass ich beschloss, dein Leben zu verschonen.“
    Rain zuckte zusammen und starrte ihn an. „Was wollen Sie damit sagen?“
    Doch er zog es vor, nicht zu antworten. Stattdessen lächelte er leicht. „Es ist fast neun Uhr. In ein paar Stunden beginnt er, meine Liebe – der Jahrestag des Todes deiner Mutter.“
    Ihr Griff um das Glas verstärkte sich. Sie musste es wissen. „Werde auch ich an diesem Tag sterben?“
    Ein weiterer Blitz erleuchtete das Gesicht ihres Entführers. „Das liegt ganz und gar bei dir.“ Carteris kam näher und streichelte ihre nackten Arme. Er

Weitere Kostenlose Bücher