Nachtruf (German Edition)

Schlafzimmer. Auf dem Bett sitzend, erledigte er ein paar Anrufe – darunter einen mit der örtlichen Außendienststelle des FBI, um sich anzumelden, und ein weiteres Gespräch mit Eddie McGrath vom New Orleans Police Department . Die junge Frau aus dem verlassenen Haus auf der Tchoupitoulas sei noch immer nicht identifiziert worden, erzählte der Detective ihm. Im Gegenzug berichtete Trevor Detective McGrath über die mögliche Spur, die in den Radiosender führte, und teilte ihm seinen Plan mit, die Sendung am Abend zu begleiten. Sein letzter Anruf galt seinem Chef, Special Agent in Charge Johnston, im Büro der Violent Crimes Unit in D. C. Johnston war ein ruppiger Kerl, kahl, mit einer Statur wie ein Kleiderschrank und dem grimmigen Funkeln des Exsoldaten in den Augen.
    „Ressourcen sind im Moment knapp – Ihr Partner arbeitet gerade an einem Kindermord in Maryland“, sagte Johnston am Telefon. Es ging um Special Agent Nate Fincher. „Er kann unmöglich nach New Orleans kommen.“
    Trevor dachte über den Fall nach, den Nate zu bewältigen hatte. „Das ist hart.“
    „Ist das nicht jeder Fall?“
    Trevor setzte Johnston über die Obduktion an der unbekannten Leiche und über den Anrufer bei Midnight Confessions ins Bild.
    „Desiree Sommers’ Tochter, ja?“ In Johnstons tiefe Stimme schlich sich eine Spur Nostalgie. „Ich habe sie früher als Teenager oft gehört. Halten Sie mich auf dem Laufenden, Rivette. Ich denke, die Spur mit dem Anrufer ist ein wenig weit hergeholt, aber es lohnt sich sicher, die Sache zu verfolgen. Einige von diesen Typen sind so dermaßen selbstgefällig, dass sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihren Leistungen prahlen müssen. Wer weiß – vielleicht sucht auch dieses Arschloch eine Bühne.“
    Nachdem er das Gespräch beendet hatte, zog Trevor seine Waffe aus dem Holster und legte sie auf den Nachttisch. Er hatte eine Menge zu tun, doch er wollte sich kurz ausruhen und darauf warten, dass das Schmerzmittel zu wirken begann. Er machte die Augen zu, um sie vor dem hellen Licht zu schützen, das durch das Fenster ins Zimmer drang, und dachte wieder an Rain Sommers. Obwohl sie sich bemüht hatte, es zu verbergen, war ihm der Angstschimmer in ihren haselnussbraunen Augen nicht entgangen.
    Und ihm war klar, dass sie allen Grund hatte, sich zu fürchten.
    Das Schild im Fenster warb für ein Tagesgericht mit dem besten Shrimp Étouffée der Stadt. Es war früher Abend, die Stoßzeit war zu Ende. In dem kleinen Restaurant in der Frenchmen Street waren nur noch wenige Tische besetzt. Trevor trat ein. Eine Computertasche hing über seiner Schulter. Er hatte gerade eine Besprechung mit dem Leiter der örtlichen FBI-Außendienststelle hinter sich gebracht und nur wenig Zeit, bevor er zum Radiosender aufbrechen musste.
    „Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, chérie“, rief eine Platinblonde von der Theke aus. Sie musterte ihn kurz.
    Er entschied sich für eine Nische im hinteren Teil des Restaurants. Die Bedienung folgte ihm und stellte ein Glas Eiswasser auf den Tisch, während er seinen Laptop hochfuhr. Er bestellte den Shrimp-Eintopf und eine Tasse Kaffee und gab ihr die laminierte Menükarte zurück.
    Während er auf sein Essen wartete, tippte Trevor aus Neugierde Desiree Sommers’ Namen in eine Suchmaschine im Internet. Die Anfrage ergab Dutzende von Hinweisen. Er fing an, sich durch die Liste zu arbeiten. Der erste Treffer war eine Website, die Fans ins Leben gerufen hatten. Unverkennbar war das Gothic-Thema, das sich durch die Seite zog. Dort gab es auch eine Galerie mit Fotos der Sängerin. Trevor klickte durch die Bilder und blieb an einer eingescannten Reproduktion von Desirees Debütalbum hängen. Das Cover zeigte eine zerkratzte Schwarz-Weiß-Fotografie der Sängerin. Sie trug ein gewagtes Cocktailkleid und zerrissene Netzstrümpfe. Ihr porzellanartiger Teint wirkte durch das Make-up noch blasser. Die Augen waren mit dunklem Eyeliner umrandet. Sie stand allein in einem Raum, umgeben von Kerzen.
    Der Titel des Albums lautete Decadent Soul . Trevor las in dem Text unter dem Bild, dass es 1979 veröffentlicht worden war. Zwei Jahre vor ihrem Tod.
    Trevor nippte an dem Kaffee, den die Bedienung ihm in der Zwischenzeit gebracht hatte, und betrachtete das Foto erneut. Die Ähnlichkeit zwischen Desiree und ihrer Tochter war augenfällig. Beide Frauen waren schön, auch wenn Rain Sommers eine dezente Eleganz besaß, die im Gegensatz zu der unverhohlenen Sexualität ihrer