Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)
zurückgekehrt ist. Sieh uns und Stornoway unvoreingenommen, mehr wollen wir nicht. Du hast die freie Entscheidung. Bleib vierzehn Tage, dann kannst du dir ein Urteil bilden. Wenn du dann wieder nach London zurückkehren willst, gut, niemand wird dir einen Stein in den Weg legen. Aber fall nicht auf dummes Geschwätz herein. Du bist doch eine moderne, aufgeklärte Londonerin, oder? Glaubst du vielleicht an Hexerei, Magie und solchen Humbug?« »Eigentlich nicht, aber…« »Aber was, Letitia?« »Ich glaube nicht daran.« Letitia wollte nicht erwähnen, was ihre Mutter auf dem Sterbebett erwähnt hatte. Die Dinnerparty zu ihren Ehren mit all den Morton-Frauen war nicht der geeignete Ort dazu. Die Frauen lächelten süßlich. Eine wollte freundlicher zu Letitia sein als die andere.
Doch sie würde die Wahrheit herausfinden, das schwor sich Letitia. Auf andere Weise, als offen bei der Dinnerparty zu fragen.
Schon am nächsten Tag würde sie sich in Stornoway bei den Einheimischen erkundigen. Es musste in Stornoway eine Polizeistation geben und einen Pfarrer.
Ich bin hier in England, sagte sich Letitia. Im Britischen Empire geht alles geordnet zu, auf einer nordenglischen Insel können keine finsteren Mächte die Oberhand haben.
Ein ganzer Hexenclan war einfach absurd und unsinnig. Aus Angus' Äußerungen sprachen wohl nur Hassgefühle gegen das Matriarchat, das ihn unterdrückte. Vielleicht war er geistig wirklich nicht ganz stabil.
Letitia gähnte schon bald. Sie entschuldigte sich, dass die Reise sie angestrengt hatte, und verließ die Dinnerparty. Man wünschte ihr eine gute, erholsame Nacht.
Ein Dienstmädchen begleitete Letitia zu ihrem Gästezimmer im zweiten Stock.
»Diese Äußerung von Angus«, sagte Letitia im Korridor, »ist sie ernst zu nehmen?«
»Natürlich nicht. Sie sollten Sie einfach vergessen, Miss.«
Als Letitia ihr Zimmer betrat, schaute sie sofort nach dem Kreuz auf der Frisierkommode. Sie hatte gesehen, wie Ann davor zurückgezuckt war, und wie sich ihr Gesicht verzerrt hatte. Wenn das Kreuz verschwunden war, würde Letitia das als eine Bestätigung ihrer Ängste nehmen.
Aber das Kreuz lag da wie zuvor. Letitia versicherte dem Mädchen, sie brauche nichts mehr, und schloss die Tür. Aufatmend lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen. Der erste Kontakt mit ihren Verwandten in Stornoway war verwirrend gewesen und ganz anders, als Letitia erwartet hatte.
3. Kapitel
Viel später lag Letitia im Bett und konnte trotz ihrer Müdigkeit nicht einschlafen. Ihre Nerven waren zu überreizt. Außerdem war das Klima auf den Hebriden anders als in London. Der Wind pfiff um die hochgelegene Villa, ein Geräusch, das Letitia nicht gewohnt war.
Die Zeit schleppte sich dahin. Das Brausen des Windes und das Knacken der Dielen störten Letitia. Sie musste wieder an die Worte ihrer sterbenden Mutter denken.
»Geh nicht nach Stornoway, denn dort lauert das Böse!«
Die Worte hallten in Letitias Kopf nach, denn sie hatten sich ihr eingeprägt. Letitia schwitzte unter dem schweren Federbett. Die Luft im Zimmer war stickig. Darum erhob sich Letitia und in der Hoffnung, dann besser Ruhe zu finden, ging sie im Dunkeln ans Fenster und öffnete es.
Sie atmete tief die frische, kalte Nachtluft ein, die ihr erhitztes Gesicht kühlte.
Die Mondsichel glitzerte über Stornoway. Sterne leuchteten zwischen den vom Westwind gejagten Wolken hervor.
In London brannte immer Licht. Hier war es stockfinster, wie am Ende der Welt. Ein Hund heulte einsam und klagend im Dorf. Der Wind trug Letitia das Rauschen der Brandung zu, und sie hörte ziemlich regelmäßige Schläge. Nach einer Weile begriff Letitia, dass das nur ein klappernder Fensterladen sein konnte.
Letitia war kein Mädchen, das jeden Abend ausgehen musste und durch die Diskotheken flippte. Doch Stornoway erschien ihr entschieden zu tot.
Hier musste jeder, der sich länger aufhielt, einen geistigen Schaden bekommen.
Letitia gähnte. Sie schaute am Haus hinunter. An der Seite, wo sie sich befand, rankte Efeu hoch. In einem Zimmer im Erdgeschoß brannte noch Licht, was Letitia wunderte, denn ein Blick auf ihren Digitalwecker zeigte ihr, dass es schon drei Uhr früh war.
Wer war denn so spät noch wach?
Letitia wollte gerade wieder zu Bett gehen und versuchen, ob sie jetzt einschlafen könnte, als sie das Gemurmel hörte. Sie lauschte. Sie konnte die Stimmen nicht unterscheiden, noch die Worte erkennen. Aber das Gemurmel musste aus dem Park
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