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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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Welt ist übrigens auch nur eine Redensart, aber im Vergleich zu Heinz’ letzten Plänen nahm das Wort »wirklich« eine andere Bedeutung an. Er wollte Bauer werden auf Tonga. Dafür bekommt man Subventionen aus Europa. Alles wächst da wie von selbst, wie Kohl. Wenn du mich fragst, da steckt Geld drin. Sehr gesunde Nahrung.Kohl und Fisch, mehr brauchst du nicht. Kohl auf Tonga. Ich bestehe aus Buchstaben, sie kommen immer von selbst. Montaigne: »Ich will wohl, … daß der Tod mich dabei antreffe, daß ich meinen Kohl pflanze, aber gleichgültig über seinen Zuspruch.« Der Tod ist auf französisch eine Frau, das hätte Heinz gefallen. Und vielleicht war er es ja, der sich nicht um sie kümmerte. Er hat uns nichts darüber wissen lassen. Er hatte Tonga.

17

    Es war bereits November, als ich endlich fahren konnte. Wilder Wind, das Flugzeug hatte Mühe, zu landen. Er war nicht im Konsulat, nicht im Liguria. Amleto wirkte ernsthaft bekümmert, soviel war deutlich. Das Arschloch! Er will nichts, nichts! Wir haben gesagt, wir bezahlen den Arzt, aber nein! Wir haben es mit ein paar Freunden zusammengekratzt, aber er tut so, als wüßte er nicht, wovon wir sprechen. Er geht nach Tonga! Gerade er! In einem Sarg geht er nach Tonga. Arschloch! Scheiße, Kacke, mierda, und dahinter das gesamte südländische Fäkalrepertoire, als wäre sein Freund noch zu retten, wenn man ihn damit einschmierte. Der Vizehonorarkonsul Ihrer Majestät saß auf seiner Terrasse. Das Meer war wütend, von Hineinspringen konntekeine Rede sein. Heinz begrüßte mich, als hätte er mich vor fünf Minuten zuletzt gesehen. Seine Stimme kam aus einer Totenmaske. Ich verstand, was die Freunde gruselig fanden. Es war die Stimme von immer, in einem Körper von nie mehr. Das jagt einem Angst ein. Das Meer, so grau, wie ich es nie gesehen hatte, schlug an die Felsen. Es war wie bei jenem ersten Mal mit dem Speedboot. In die kleine Grotte unter seinem Häuschen klatschte das wilde Wasser hinein und kam mit einem düsteren Schmatzen wieder heraus, wie ein gewaltiges Pfeifen und Saugen wirkte es, ein unsichtbarer Riese kaute und spuckte, die Natur spielte auf hundert Orgeln zugleich, ich sah, wie die enormen grauen Wogen hochgehoben wurden, auf uns zustürmten und wieder zurückfielen in ein großes, zurückweichendes Loch, das sich einen Moment später erneut mit einer wogenden bleifarbenen Wassermasse füllte. Wegen des Lärms hörte ich es nicht gleich, aber Heinz sang. Er sang mit dem Wind, es war eher Jauchzen als Singen. Er sah mich an mit seinem Blick von früher. Er brauchte Montaigne nicht zu lesen, egal, wer oder was ihn bedrohte, er kümmerte sich nicht darum. Er war glücklich, oder so schien es. Erst da sah ich die Taube. Sie saß, klein und grau, mit zerzausten Federn in einer Ecke der Terrasse. Ich erinnerte mich, daß Philip davon gesprochen hatte. Sitzt da jeden Tag mit dieser blöden Taube. Tauben gehören nicht ans Meer. Ichhabe dort noch nie eine Taube gesehen. Krähen auch nicht. Das sind dort Ausländer. Wenn es wenigstens eine Möwe wäre. Oder, noch besser, ein Albatros. Die sagen einem doch Bescheid, wenn das Spiel aus ist, oder? Zerzauste Federn. Kann vom Wind kommen. Aber hier sah es so aus, als habe jemand die Taube gegen den Strich gestreichelt, die Federn standen ein bißchen in die Höhe, als fröre das Tier. Heinz bemerkte meinen Blick. Meine Gesellschaftsdame. Kommt jeden Tag, seit ich aus Holland zurück bin. Komisches Viecherl. Hat Menschenaugen . Ich schaute. Die Taube schaute zurück. Aber ich weiß nie, was ich in Tieraugen sehe. Oder, besser gesagt, ich sehe etwas, womit man nicht reden kann. Man sieht eine Glasmurmel, oder man sieht das All, aber man kann nichts damit anfangen. Was immer sich da abspielt, es geht einen nichts an. Man versuche es mal in einem Zoo, bei den Löwen, den Affen, den Eulen. Man kann schauen und schauen, es kommt nichts zurück. Nicht so bei Heinz. Ich führe richtige Gespräche mit ihr . Und, ohne Übergang: Ich muß dir was zeigen . Ich sah, daß er Mühe beim Aufstehen hatte. Er schlurfte ins Haus. Der Windstoß, der hineinfuhr, fegte eine große Karte vom Tisch. Tonga. Nicht wegfliegen. Hiergeblieben . Er strich die Karte glatt. Wir betrachteten den Archipel. Tongatapu. Toku. Tafali. 171 Inseln, verloren im unendlichen Blau des Ozeans. Er summte. Ich kann’s nicht erwarten . Ein paar Tage blieb ich, danach mußte ich weg. Als ichkam, um mich zu verabschieden, saß die Taube auf dem Rand
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